Lebendiggebärende Pflanzen

[281] Lebendiggebärende Pflanzen (Plantae viviparae), Gewächse, deren Same schon in der Frucht keimt und dieselbe auf der Mutterpflanze durchbohrt oder in gekeimtem Zustand mit der Frucht zugleich abfällt. Als Abnormität kommt diese Erscheinung z. B. bei auswachsendem Getreide in feuchten Jahren, bei Arten von Juncus, Epilobium, bei Äpfeln u.a. vor. Bei einigen tropischen Strandgewächsen der sogen. Mangroveformation (z. B. bei Arten von [281] Rhizophora, Bruguiera, Aegiceras, Avicennia) ist sie dagegen ein normaler Vorgang. Bei Bruguiera gymnorhiza besitzt der Embryo vier anstatt zwei Keimblätter, die unten zusammenhängen und hier eine kurze Röhre bilden. Das hypokotyle Stengelglied durchbohrt die Samenschale und wächst mit der Wurzel an der Spitze in den Fruchtknotenraum hinein, während die Keimblätter innerhalb der Samenschale stecken bleiben und unter Auszehrung des vorhandenen Nährgewebes den Keimling ernähren. Das weiterwachsende Wurzelende des Embryos durchbricht später die Fruchtwand, und das aus der Frucht hervortretende hypokotyle Ende des Keimlings wächst zu einem bis 21 cm langen und 2 cm breiten spindelförmigen Körper aus, dessen Wurzelspitze infolge der Schwere nach unten gerichtet ist. Zuletzt fällt der weit vorgeschrittene Keimling ab und gelangt in den unter den Bäumen vorhandenen Schlamm, in dem sich das Wurzelende schnell weiter entwickelt. Bei Aegiceras majus, einer strandbewohnenden, strauchartigen Myrsinee mit ziegenhornähnlich gekrümmten Früchten, wächst der Keimling in der Frucht zu ganz bedeutender Größe heran und füllt deren Innenraum aus, während der Same klein bleibt. Die Frucht fällt dann ab, schwimmt auf dem Wasser und vermittelt dadurch die Verbreitung. Bei Avicennia officinalis, einer strandbewohnenden Verbenazee, wächst das Endosperm aus dem Samenknospenmund hervor, führt aber dabei den Embryo mit sich, der einen nur wenig entwickelten hypokotylen Teil hat und im Endosperm wie in einer Tasche steckt, während die beiden elliptischen Keimblätter aus jenem hervorragen. Schließlich fallen die Keimlinge in völlig nacktem Zustand aus der geöffneten Frucht heraus und befestigen sich an ihrem untern Ende mittels eines Kranzes von Nebenwurzeln. Unter den monokotylen Strandpflanzen können einige Arten der Arazeengattung Cryptocoryne zu den lebendiggebärenden Pflanzen gerechnet werden, da auch bei ihnen der Embryo ohne Ruhepause im Innern des Fruchtknotens unter Verdrängung des schwammigen Gewebes des innern Integuments zu einer beblätterten Pflanze heranwächst, die sich, freiwerdend, unter Wasser leicht bewurzelt. Bei einzelnen Kryptogamen, die feuchte Strandorte bewohnen (Hymenophylleen sowie einige Lebermoose), legen die Sporen regelmäßig noch innerhalb des Sporangiums die ersten Keimungsstadien zurück. Das besonders bei Gräsern vorkommende abnorme Durchwachsen der Blüte durch einen blatttragenden, später abfallenden und sich bewurzelnden, kleinen Sproß ist durchaus von dem Lebendiggebären verschieden (vegetative Viviparie). Den stärksten Gegensatz zu den lebendiggebärenden Pflanzen bilden solche Gewächse, deren Keimlinge bei der Ausstreuung der Samen noch ganz unentwickelt sind, wie bei Eranthis hiemalis, Ranunculus Ficaria, Corydalis cava, wo die Weiterentwickelung an den unreifen Samen innerhalb des Erdbodens erfolgt. Bei der Konifere Ginkgo biloba tritt sogar die Befruchtung erst in der abgefallenen Samenknospe ein. Vgl. Göbel, Pflanzenbiologische Schilderungen (Marb. 1889–93, 2 Tle.) und Cryptocoryne, eine lebendiggebärende Aroidee (»Flora«, 1897, Bd. 83).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 281-282.
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