Quinet, Edgar

[525] Quinet, Edgar (spr. kinä), franz. Dichter und Publizist, geb. 17. Febr. 1803 in Bourg-en-Bresse, gest. 27. März 1875 in Versailles, studierte in Straßburg, Genf, Paris und Heidelberg, wo er sich viel mit deutscher Literatur, namentlich mit Herder, beschäftigte,[525] dessen »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« er in französischer Übersetzung nebst einer Einleitung (1827, 3 Bde.) herausgab, und dem er noch einen besondern »Essai« (1828) widmete. Die von der französischen Regierung nach Morea ausgerüstete Expedition begleitete Q. im Auftrag des Instituts, und das Werk »De la Grèce moderne et de ses rapports avec l'antiquité« (1830, 2. Aufl. 1832) war das Ergebnis. Zunächst wandte er sich der Betrachtung des Mittelalters, bald aber, durch die scharfe Kritik, die sein »Rapport sur les épopées françaises du XII. siècle« (1831) erfuhr, verletzt, der Politik zu. Sein Werk »Allemagne et Italie« (1832; neue Aufl. 1846, 2 Bde.) enthält viele richtige Urteile über die Verhältnisse Deutschlands. 1840 ward er zum Professor der auswärtigen Literatur an der Fakultät zu Lyon ernannt und 1842 in gleicher Stellung an das Collège de France berufen, allein wegen seiner mit Michelet herausgegebenen Schrift »Les Jesuites« (1844) sowie wegen seines fortwährenden Abschweifens auf politische Diskussionen jener Würde 1846 wieder enthoben. Inzwischen hatte er die Werke: »Le génie des religions« (1842, 2. Aufl. 1851), durch Strauß' »Leben Jesu« veranlaßt, und »Le christianisme et la Révolution« (1845) veröffentlicht, in denen er die Religion als die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft darstellt, sowie bereits früher eine Reihe poetischer Werke: »Ahasvérus«, ein Mysterium (1833), »Napoléon« (1836), »Prométhée« (1838) und das allegorisch-philosophische Poem »Merlin l'enchanteur« (1860, 2 Bde.; 4. Aufl. 1895), von hohem Schwung der Gedanken und blendenden Schilderungen, aber mystisch und formlos. Durch Dekret vom 9. Jan. 1852 nach dem Staatsstreich aus Frankreich verwiesen, lebte er 20 Jahre (seit dem Erlaß der Amnestie von 1859 freiwillig) in der Verbannung erst zu Brüssel, dann zu Genf und Montreux. Während dieser Zeit schrieb er unter anderm: »Les revolutions d'Italie« (1848–52, 2 Bde.); »Histoire de mes idées«, eine interessante Autobiographie, zugleich treffliche Materialien zur Literaturgeschichte seiner Zeit enthaltend (1860); »Histoire de la campagne de 1815« (1862, 2. Aufl. 1867; deutsch, Kaff. 1862); »La révolution« (1865, 2 Bde.; 5. Aufl. 1868; 1889). Nach dem Zusammenbrechen der kaiserlichen Regierung kehrte Q. nach Paris zurück, voller Ingrimm gegen Deutschland, das er übrigens besser kannte als die meisten seiner Landsleute. In der Nationalversammlung von Bordeaux und Versailles (1871) gehörte er wie 1848 mit Victor Hugo und Louis Blanc den Führern der äußersten Linken an. Seine letzten Publikationen waren: »La création« (1870, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 1811), Studien und Hypothesen über die Weltschöpfung, und »L'esprit nouveau« (1874), gleichsam ein Hymnus auf den steten Fortschritt der Menschheit. Nach seinem Tod erschienen noch: »Le livre de l'exilé« (1875); »Correspondance inédite« (1877, 2 Bde.); »Lettres d'exil à Michelet et à divers amis« (1884–86, 4 Bde.) und »Lettres à sa mère« (1895, 2 Bde.). Seine »Œuvres complètes« erschienen in 28 Bänden (1857–79, mit Biographie von Chassin); zur Hundertjahrfeier seines Geburtstags: »Extraits de ses œuvres« (1903). Vgl. noch die Schriften seiner Witwe: »Edgar Q. avant l'exil (1887) und depuis l'exil« (1889) und »Cinquante aus d'amitié. Michelet-Q., 1825–1875« (1899); ferner Heath, Edgar Q., his early life and writings (Lond. 1881). In Bourg ist ihm ein Denkmal (von Millet) errichtet.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 525-526.
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