Richtfest

[909] Richtfest, feierlicher Akt bei der Vollendung eines Gebäudes im Rohbau, knüpft sich gewöhnlich an die Ausrichtung des hölzernen Dachgerüstes (daher das Richten des Hauses genannt), wobei eine Verzierung der höchsten Dachfirste oder Turmspitze mit einer grünen Krone oder einem mit farbigen Bändern geschmückten Bäumchen oder mit Kränzen stattfindet und der Zimmer- oder Mauerpolier, in der Regel der erstere, eine Rede (Kranzrede) zur Weihe des Hauses hält. Zwei Jungfrauen mit Kronen auf dem Haupte stehen ihm, besonders im Bayrischen, zur Seite; dreimal trinkt er nach dreimaligem Segensspruche über das Haus aus einem von jenen gereichten Glas und schleudert es dann hinunter in die Tiefe. Eine festliche Bewirtung aller beim Bau beschäftigten Personen schließt die Zeremonie. Die Sitte ist uralt; es sind altindische Weihereden ähnlicher Bedeutung erhalten. Bei öffentlichen, namentlich kirchlichen Gebäuden werden auch wohl Urkunden, Münzen etc. in den Turmknopf eingeschlossen. Die Sitte erinnert an den Schmuck der Dachfirste oder des Giebels mit schützenden Emblemen: gekreuzten Pferdeköpfen in deutschen und wendischen Ländern, die als seuchenabwehrend galten, dem Donnerbesen (s. d.) in den Vierlanden als Wetterbannung, dem Hahn auf der Wetterfahne als Sinnbild der Wachsamkeit etc. Den Sinn dieser Maßregeln, die Beschützung des Hauses und seiner Bewohner vor Blitz, Feuer-, Seuchen- und andrer Gefahr, faßt der oft in gebundener Rede gehaltene Zimmermannsspruch in kurzer, kerniger Form zu einem Segensspruch für das neue Haus und alle seine Bewohner zusammen. Vgl. »Zimmermannssprüche und Kranzreden« (9. Aufl., Weimar 1895); Rowald, Brauch, Spruch und Lied der Bauleute (2. Aufl., Hannov. 1903) und Geschichte der Grundsteinlegung (Berl. 1904); Baumann, Mit Gunst. Sammlung von Reden etc. (das. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 909.
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