Weimar [1]

[480] Weimar, Haupt- und Residenzstadt des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, an der Ilm, Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Bebra-Weißenfels und W.-Gera und der Eisenbahnen W.-Kranichfeld und W.-Rastenberg, 212 m ü. M. Das bemerkenswerteste Gebäude ist das großherzogliche Residenzschloß, ein nach dem Brand von 1774 in den Jahren 1790–1803 ausgeführtes Bauwerk. Es enthält unter andern Sehenswürdigkeiten das Zimmer des Herzogs Bernhard, die Goethe, Schiller, Herder und Wieland gewidmeten, mit trefflichen, auf deren Dichtungen bezüglichen Freskogemälden von Neher, Preller und Jäger geschmückten vier »Dichterzimmer« etc. Vor dem Schloß zieht sich der reizende Park hin, in dem sich das Römische Haus, das Tempelherrenhaus, das Liszt- und das Shakespearedenkmal und viele durch die Erinnerung an Goethe geweihte Stellen befinden.

Wappen von Weimar.
Wappen von Weimar.

Jenseit der Ilm, in der Nähe des Parkes, liegt Goethes Gartenhaus. Andre bemerkenswerte Gebäude sind: das 1574 erbaute Rote Schloß, jetzt Sitz von Verwaltungsbehörden; das durch den Gleichenschen Hof mit diesem verbundene Gelbe Schloß, der Sitz des Finanzdepartements; das Grüne Schloß, in dem die großherzogliche Bibliothek mit ca. 180,000 Bänden und 8000 Karten; das Fürstenhaus mit den Bureaus des Departements des Innern und dem Ständesaal; das Wittumpalais, das einst die Herzogin Anna Amalia bewohnte; das in gotischem Stil erbaute Rathaus, das Museum mit den Odyssee-Fresken Fr. Prellers (1869), der Marstall, das Sophienstift, das Staatsarchiv, das Goethe- und Schiller-Archiv (s. Goethe, S. 167) etc. Das Hoftheater, einst unter Goethes und Schillers Leitung, wurde 1825 neu ausgeführt, aber 1907 durch einen Neubau ersetzt. Merkwürdig sind noch: Lukas Cranachs Wohnhaus am Markte, das Goethe- und Schiller-Museum (in Goethes Wohnhaus, seit 1886), Schillers Wohnhaus, das von der Stadt 1847 angekauft wurde, Wielands und Herders Wohnhaus. Unter den Plätzen sind der Fürstenplatz mit dem Denkmal des Großherzogs Karl August (von Donndorf, seit 1875), der Marktplatz, der Karlsplatz mit dem Denkmal des Großherzogs Karl Alexander (modelliert von Brütt) und der Watzdorfplatz, letzterer mit dem Kriegerdenkmal von Rob. Härtel, der Karl-Augustplatz mit schönen Anlagen und der Büste des verstorbenen Erbgroßherzogs Karl August sowie der Jubiläumsplatz zu nennen. Von andern Denkmälern sind noch hervorzuheben: das eherne Doppelstandbild Goethes und Schillers von Rietschel (1857 auf dem Theaterplatz aufgestellt); das Wielanddenkmal von Gasser (1857), auf dem Wielandsplatz; Herders ehernes Standbild von Schaller (1850), vor der Stadtkirche; die Erzbüste des Großherzogs Karl August im Garten des Armbrustschützenhauses (1825); das Denkmal des Komponisten Hummel (1895). Die Stadt hat 2 evangelische, eine neue katholische und eine engl. Kirche und eine griech. Kapelle. In der evang. Stadtkirche (um 1400 erbaut) sind Grabmäler weimarischer Fürsten (darunter das des Herzogs Bernhard, des Kurfürsten Johann Friedrich des Großmütigen und seiner Gemahlin Sibylle) sowie das berühmte Altargemälde Cranachs, die Kreuzigung Christi darstellend. Auf dem nicht mehr benutzten Friedhof der Jakobskirche befinden sich die Gräber von Cranach dem Ältern, Musäus und Bode. Auf dem neuen Friedhof ist die Fürstengruft. In der Nähe des Sarkophags, der die Überreste Karl Augusts umschließt, stehen die Särge Goethes und Schillers. Mit der Fürstengruft verbunden ist ein[480] über der Ruhestätte der Großherzogin-Großfürstin Maria Paulowna erbautes Mausoleum. Die Zahl der Einwohner beträgt (1905) mit der Garnison (ein Bat. Infanterie Nr 94) 31,117, davon 1082 Katholiken und 77 Juden. An industriellen Anlagen hat die Stadt eine Eisentonnen- und Desinfektionsapparatenfabrik, eine Parkettfußbodenfabrik, Ofen-, Nippes-, Waggon-, Metall- und Eisenwaren-, Strohhut-, Handschuh-, Kartonnagen-, Papier- und Pianofortefabrikation, Bierbrauerei, Ziegelbrennerei und Gärtnerei; auch befindet sich dort ein geographisches Institut mit Globenfabrik, eine lithographische Anstalt, eine chemische Fabrik, Dampfsägemühlen etc. Der Han del wird unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbanknebenstelle, die Norddeutsche Grundkreditbank und andre Geldinstitute; bekannt ist ferner die Hagelversicherungsgesellschaft Union, auch ist die Stadt Sitz der Landesversicherungsanstalt für die thüringischen Staaten. Die dortigen Märkte für Vieh (insbes. Schafe), Wolle, Ölfrüchte und Zwiebeln sind lebhaft besucht. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Straßenbahn. An Bildung s- und andern öffentlichen Anstalten befinden sich dort: ein Gymnasium, ein Realgymnasium, ein Schullehrerseminar, eine Kunstschule (Malerakademie), eine Kunstgewerbeschule, ein Bildhaueratelier, eine Orchesterschule, ein Museum mit Kupferstichkabinett, ein Donndorfmuseum, eine Bibliothek, eine Gewerbe-, eine Baugewerk und eine Zeichenschule, ein Gewerbehaus, eine Blinden- und Taubstummenschule, ein Waisenhaus, verbunden mit der Falkschen Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder, eine Krankenpflegerinnenanstalt, das Feierabendhaus für Schauspielerinnen (Marie Seebach-Stiftung) etc. Die Stadt ist Sitz der Landesbehörden, der Bezirksdirektion, eines Landgerichts, einer Handwerkskammer etc. Die städtischen Behörden zählen 7 Magistratsmitglieder und 28 Stadtverordnete. Am südöstlichen Ende des Parkes liegt das Dorf Oberweimar, an der Ilm, mit ehemaligem Cistercienser-Nonnenkloster, einer Kirche, einer Pappenfabrik, einer lithographischen und Buntdruckanstalt und (1905) 1801 Einw. Unweit davon, 2 km von der Stadt auf einem Hügel, wohin eine schöne Allee führt, das Lustschloß Belvedere (1724–32 im italienischen Stil erbaut), mit einem reizenden Park; nordöstlich von der Stadt die Dörfer Tiefurt (s. d.) und Oßmannstedt (s. d.) und nordwestlich das Dorf Ettersburg am Ettersberg (s. d.). Zum Landgerichtsbezirk W. gehören die acht Amtsgerichte zu Allstedt. Apolda, Blankenhain, Buttstädt, Großrudestedt, Jena, Vieselbach und W.-W., in dessen Nähe merowingische Gräber aufgedeckt worden sind, gehörte bis 1140 dem Hause der Grafen von Orlamünde (s. d.), fiel dann an Albrecht den Bär und die Nachkommen von dessen zweitem Sohne; Otto III. begründete 1247 eine besondere weimarische Linie, die ihren Besitz 1345 vom Landgraf Friedrich II. (s. Friedrich 40) zu Lehen nehmen mußte und 1373 erlosch. So wurde W. wettinisch. Bei der Teilung von 1485 kam W. mit Thüringen an die Ernestinische Linie und war 1547–64 und wieder seit 1572 Residenz (vgl. Sachsen-W.-E., S. 401). 1560 fand in W. das Kolloquium zwischen Flacius und Strigel wegen der synergistischen Streitigkeiten statt. Der Glanzpunkt Weimars war die Regierungszeit Karl Augusts, während der es durch die von diesem Fürsten berufenen Männer, wie Goethe, Schiller, Wieland, Herder u. a., der Mittelpunkt des geistigen Deutschland wurde. Auch von Karl Augusts Nach folgern wurde in W. Kunst und Wissenschaft gepflegt. Vgl. Schöll, Weimars Merkwürdigkeiten einst und jetzt (neue Ausg., Weim. 1857); Francke, W. und Umgebungen (3. Aufl., das. 1900); Stahr, W. und Jena (3. Aufl., Oldenb. 1892; auch in »Meyers Volksbüchern«, 1907); R. Springer, Weimars klassische Stätten (Berl. 1868); P. Heyse, Das Goethehaus in W. (3. Aufl., das. 1897); Geiger, Aus Alt-Weimar. Mitteilungen von Zeitgenossen (das. 1897); v. Bojanowski und Ruland, 140 Jahre weimarischer Geschichte in Medaillen und Medaillons (Weim. 1898); E. J. L. Müller, W., Wanderungen durch Vergangenheit und Gegenwart (das. 1902); Kuhn, Aus dem alten W. (Wiesb. 1905); »W. in Wort und Bild« (4. Aufl., Jena 1905); Woltze, Das klassische W., 12 Tafeln mit Text von Scheidemantel (Weim. 1907); Bartels, Chronik des Weimarschen Hoftheaters 1817–1907 (das. 1908).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 480-481.
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