Francke

[821] Francke, 1) August Hermann, Stifter des Halleschen Waisenhauses, geb. 22. März 1663 in Lübeck, gest. 8. Juni 1727 in Halle, erhielt seine erste Bildung auf dem Gymnasium zu Gotha, studierte in Erfurt und Kiel Theologie und Philologie und vervollkommte sich unter Esdra Edzardis Leitung in Hamburg im Hebräischen. 1684 bezog er als Hofmeister die Universität Leipzig, an der er sich 1685 als Dozent habilitierte. Durch den Superintendenten Sandhagen in Lüneburg und Spener (damals Oberhofprediger in Dresden) erweckt, begann er im pietistischen Sinn collegia philobiblica zu halten, infolge deren seine akademische Wirksamkeit auf philosophische Vorlesungen eingeschränkt ward. 1690 ging F. als Diakon us der Augustinerkirche nach Erfurt, ward aber 1691 von hier auf Anzeige des orthodox-lutherischen geistlichen Ministeriums verwiesen und nahm 1692 an der eben entstehenden Universität Halle die mit dem Pfarramt zu Glaucha verbundene Professur der orientalischen Sprachen an, die er 1698 mit einer theologischen Professur vertauschte. 1715 wurde er Oberpfarrer der Ulrichskirche und starb nach längerm Siechtum 1727. Franckes Bedeutung beruht in der von ihm ausgegangenen mächtigen religiösen Anregung und dem damit eng verbundenen Einfluß auf das Erziehungs- und Unterrichtswesen seiner Zeit, für das er in seinen berühmten Stiftungen zu Halle vielbewunderte und oft nachgeahmte Vorbilder schuf (s. unten). Hinsichtlich seiner eigentlich kirchlichen Wirksamkeit s. Pietismus. Sie ist durch seine geschichtliche Stellung als Schüler Speners und Lehrer des Grafen Zinzendorf bezeichnet. Die von ihm gepflegte Missionsanstalt (gegründet 1705) sowie die vom Freiherrn v. Canstein (s.d.) 1710 gestiftete Hallesche Bibelanstalt deuten ihre besondere Richtung an. Franckes pädagogisches Interesse erhielt nach verschiedenen Versuchen, der bei seiner Umgebung herrschenden Unwissenheit in göttlichen und welt lichen Dingen zu steuern, 1695 Anstoß zur erfolgreichen Betätigung durch ein in seine Hausbüchse gelegtes Geschenk von 7 Gulden. Er gründete eine Armenschule, an der Studenten unterrichteten. Kurz darauf folgte die Gründung des Pädagogiums, der Bürgerschule, der lateinischen Schule und des mit einem akademischen Freitisch verbundenen Seminarium praeceptorum, das Studenten als Lehrer für alle diese Anstalten vorbildete. 1698 hatten die Schulen bereits 56 Lehrer und 409 Schüler, das Seminar 72 Zöglinge. Mit den Schulen war ein Waisenhaus verbunden, das nach und nach der Mittelpunkt aller An stalten wurde. Für das Pädagogium und die lat einische Schule gründete F. 1707 noch ein besonderes Seminarium praeceptorum selectum. Zur Unterbringung der Anstalten entstand nach und nach eine ganze Gruppe von Gebäuden, in denen beim Tode des Stifters gegen 2200 Schülern Unterricht erteilt und mehr als 200 auch Unterkunft gewährt wurde. Franckes Hauptabsicht war auf die Erziehung zur Gottseligkeit gerichtet, die von ihm tief und warm, aber in dem einseitigen Sinne eines forcierten Pietismus aufgefaßt ward. Daneben hatte er jedoch offenen Blick für die Bedürfnisse des praktischen Lebens. Er gewährte den Realfächern und dem Deutschen breitern Raum. Mit Locke betonte er Zeich nen, körperliche Übungen und sinnige Rekreationen durch Handarbeiten (Drechseln, Glasschleifen etc.). Durch Fénelon angeregt, suchte er Unterricht und Erziehung auch der Mädchen zu heben. Die Mittel für seine großartigen Werke flossen dem gottvertrauenden Mann von allen Seiten zu. Im Laufe der Zeit half er mit einigen wohlberechneten geschäftlichen Unternehmen (Apotheke, Medikamentenexpedition, Buchhandlung) nach und verschmähte auch nicht Gaben, die als Bezahlung der von den Waisenkindern bedungenen Fürbitten eingingen. Im ganzen kann man trotz einzelner Schwächen die großartige, weit ins 18. Jahrh. hinaus erkennbare Einwirkung Franckes auf das Schul- und Erziehungswesen nur als segensreich bezeichnen. Eine große Anzahl von Pädagogen seiner Schule fand namentlich in Preußen bereitwillige Aufnahme und fruchtbaren Boden. Sie verbreiteten im höhern Schulwesen das sogen. Hallische oder Fachsystem, wonach der Schüler je nach seinen Kenntnissen in verschiedenen Fächern verschiedenen Klassen angehörte. Unter ihnen hat J. J. Hecker (s.d.) durch seine Tätigkeit auf den Gebieten der Volksschule, der Realschule, des Seminars sich besonders berühmt gemacht. Aus Franckes zahlreichen Schriften ist noch heute lesenswert: »Öffentliches Zeugnis vom Werk, Wort und Dienst Gottes« (Halle 1702) und besonders der darin enthaltene »Kurze, einfältige Unterricht, wie die Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlichen Klugheit anzuführen sind« (auch für sich herausgegeben, das. 1702 u. ö.). Vgl. Kramer, Aug. Herm. F. (Halle 1880–82, 2 Bde.); Stein (Nietschmann), A. H. Francke (2. Aufl., das. 1886); Frick, Das Seminarium praeceptorum (das. 1833); R. J. Hartmann, Aug. Herm. F. (Kalw 1897); Hertzberg, Aug. Herm. F. und sein Hallisches Waisenhaus (das. 1898); »A. H. Franckes pädagogische Schriften nebst der Darstellung seines Lebens und seiner Stiftungen« (hrsg. von Kramer, 2. Aufl., Langensalza 1885); Otto, Aug. Herm. F. (in den »Pädagogischen Klassikern«, Halle 1902); Ritschl, Geschichte des Pietismus, Bd. 2 (Bonn 1884).

Die Frauckeschen Stiftungen sind das bleibende Vermächtnis A. H. Franckes und eine der ersten Zierden der Stadt Halle. Ausgestattet mit Grundbesitz und Kapitalvermögen sowie unterstützt durch Schul- und Pensionsgelder, Zuschüsse des Staates etc., umfassen sie außer Waisenhaus und Pensionsanstalt (mit 140, bez. 240 Zöglingen): das königliche evangelische Pädagogium, 1697 gegründet, als Gymnasium Ostern 1873 eingegangen (seitdem nur Alumnat für Schüler des Gymnasiums und der Oberrealschule), die latein ische evangelische Hauptschule (Latina: Gymnasium), die Oberrealschule, die höhere Mädchenschule mit Lehrerinnenseminar, eine Vorschule für die höhern Lehranstalten, Bürgerknabenschule und Bürgermädchenschule (Mittelschulen). Die Armen- und Freischule (1695) ist 1897 aufgehoben worden. Dagegen wurde 1881 das 1787 eingegangene Seminar für höhere Schulen (Seminarium praeceptorum) wieder eingerichtet. Außer den genannten Schulen etc. gehören zu den Stiftungen die großartige freiherrlich von Cansteinsche Bibelanstalt (1710), die Ostindische Missionsanstalt mit großer Bibliothek, eine Buchdruckerei (1701), Buchhandlung (Verlag und Sortiment, 1698), Apotheke etc. Sämtliche Schulen genießen eines wohlbegründeten Rufes; sie werden von mehr als 3000 Schülern und Schülerinnen besucht. Dem Direktor der Stiftungen stehen besondere Rechte zu: er beruft[821] die Lehrer und stellt sie wie auch die übrigen Beamten an, darf seinen Nachfolger ernennen, verleiht Stipendien und Freistellen der Schule, der Waisen- und Pensionsanstalt und hat bei allen die Organisation der Stiftungen berührenden Maßregeln der zuständigen Behörde (Provinzialschulkollegium in Magdeburg) das Recht der Mitwirkung. Die Gebäude bilden eine aus zwei Hauptstraßen bestehende, nach Süden von Gärten und großen freien Plätzen begrenzte kleine Stadt. Das Wappen oder Wahrzeichen der Stiftungen sind zwei zur Sonne steigende Adler mit der In schrift auf wehendem Bande: »Jesaias 40,31«. Am 5. Nov. 1829 wurde das Erzbild Franckes (modelliert von Rauch) auf dem Anstaltshof enthüllt, 1898 das 200jährige Bestehen der Anstalten gefeiert. Aus den Festschriften vgl. außer dem Bericht von Lübbert besonders Fries, Die Franckeschen Stiftungen in ihrem 2. Jahrhundert (Halle 1898); Knuth, A. H. Franckes Mitarbeiter an seinen Stiftungen (das. 1898); »Die Franckeschen Stiftungen in ihrer gegenwärtigen Gestalt« (2. Aufl., das. 1903).

2) Karl Philipp, Mitglied der provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein, geb. 17. Jan. 1805 in Schleswig, gest. 23. Febr. 1870 in Kiel, studierte die Rechte, arbeitete seit 1827 in der schleswig-holstein-lauenburgischen Kanzlei in Kopenhagen, ward 1835 in das Generalzollkammer- und Kommerzkollegium versetzt und hatte 1835–48 die Oberleitung der Zoll- und Handelsangelegenheiten der Herzogtümer. Friedrich VII. bot ihm 1848 den Ministerposten für Holstein und Lauenburg an, doch lehnte F. ab, da er in der Trennung Holsteins von Schleswig eine Verletzung der Rechte der Herzogtümer sah, legte, als 24. März 1848 die Inkorporation Schleswigs ausgesprochen worden war, alle seine Ämter nieder, verließ Kopenhagen, und die provisorische Regierung der Herzogtümer ernannte ihn zum Präsidenten der schleswigschen Regierung. In die deutsche Nationalversammlung gewählt, stand er auf seiten der erbkaiserlichen Partei, wirkte als Bevollmächtigter der schleswig-holsteinischen Regierung bei der Zentralgewalt (seit November 1848) für die energische Führung des zweiten dänischen Feldzugs, übernahm nach Auflösung des Parlaments im August 1849 in Schleswig das Finanzdepartement und im Juni 1850 auch das Auswärtige, bis die Unterwerfung des Landes unter die Bundesexekution seiner öffentlichen Wirksamkeit 31. Jan. 1851 ein Ziel setzte. Von der dänischen Regierung proskribiert, erhielt F. im Oktober 1851 vom Herzog Ernst von Koburg-Gotha das Präsidium der Landesregierung in Koburg und ward nach der Regelung der koburg-gothaischen Angelegenheiten als Geheimer Staatsrat Vorstand der Abteilung für Koburg. 1863 nahm er seine provisorische Entlassung, um in das im November 1863 vom Herzog Friedrich von Augustenburg gebildete Ministerium einzutreten, blieb der Vertraute und treue Ratgeber des Herzogs Friedrich, zerfiel aber mit ihm, als er sich nach 1866 in die neuen Verhältnisse fügte.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 821-822.
Lizenz:
Faksimiles:
821 | 822
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Der Teufel kommt auf die Erde weil die Hölle geputzt wird, er kauft junge Frauen, stiftet junge Männer zum Mord an und fällt auf eine mit Kondomen als Köder gefüllte Falle rein. Grabbes von ihm selbst als Gegenstück zu seinem nihilistischen Herzog von Gothland empfundenes Lustspiel widersetzt sich jeder konventionellen Schemeneinteilung. Es ist rüpelhafte Groteske, drastische Satire und komischer Scherz gleichermaßen.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon