Ritschl

[13] Ritschl, 1) Friedrich Wilhelm, Philolog, geb. 6. April 1806 in Großvargula bei Erfurt, gest. 9. Nov. 1876 in Leipzig, studierte seit 1825 in Leipzig unter Hermann und seit 1826 in Halle unter Reisig, wurde 1829 Privatdozent und 1832 außerordentlicher Professor in Halle, 1833 außerordentlicher und 1834 ordentlicher Professor in Breslau an Passows Stelle, 1839 nach einer längern Reise durch Italien (1837–1838) in Bonn und ging 1865 infolge von Differenzen mit O. Jahn nach Leipzig. Seine hervorragende Wirksamkeit als Universitätslehrer bezeugen[13] unter anderm die »Symbola philologorum Bonnensium in honorem Fr. Ritschelii collecta« (Leipz. 1864–67), zur Feier seiner 25jährigen Tätigkeit in Bonn, und die »Acta societatis philologae Lipsiensis« (das. 1871–76, 6 Bde.). Seine wissenschaftlichen Leistungen bezogen sich im Anfang auf griechische Literatur. Hierher gehören seine Ausgabe des Thomas Magister (Halle 1832), Abhandlungen »De Oro et Orione« (Bresl. 1834), zu Dionysios von Halikarnaß (das. 1838 u. Bonn 1846), über »Die alexandrinischen Bibliotheken unter den ersten Ptolemäern und die Sammlung der Homerischen Gedichte durch Pisistratus« (Bresl. 1838; ein umfangreiches Korollarium dazu, Bonn 1840), aus späterer Zeit besonders seine Ausgabe von Äschylos' »Sieben gegen Theben« (Elberf. 1853; 2. Aufl. unter Mitwirkung von F. Schöll, Leipz. 1875). Sein Hauptwerk ist jedoch die kritische Bearbeitung des Plautus mit umfassenden Prolegomenen (unvollendet, Bonn u. Elberfeld 1848–54, 3 Bde., 9 Stücke enthaltend; fast völlig neue Bearbeitung, von R. begonnen, von Götz, Löwe und Schöll fortgesetzt, Leipz 1881–94, 4 Bde.), vorbereitet besonders durch die »Parerga zu Plautus und Terentius« (1. Bd., nicht fortgesetzt, Leipz. 1845). Von seinen hochverdienten Arbeiten auf dem Gebiete der lateinischen Epigraphik ist das Prachtwerk »Priscae latinnatis monumenta epigraphica« (Berl. 1864) hervorzuheben. Seine zahlreichen Abhandlungen sind gesammelt als »Kleine philologische Schriften« oder »Opuscula philologica« (Leipz. 1867–79, 5 Bde.). Auch gab er seit 1841 mit Welcker, seit 1866 mit Klette eine »Neue Folge« des »Rheinischen Museums für Philologie« heraus. Vgl. Luc. Müller, Friedrich R. (2. Aufl., Berl. 1878); Ribbeck, Friedrich Wilhelm R. (Leipz. 1879–81, 2 Bde.).

2) Albrecht, prot. Theolog, geb. 25. März 1822 in Berlin, gest. 20. März 1889 in Göttingen, Sohn des Bischofs Georg Karl Benjamin R. (geb. 1. Nov. 1783 in Erfurt, gest. 18. Juni 1858 in Berlin), studierte in Bonn, Halle, Heidelberg und Tübingen Theologie, habilitierte sich 1846 in Bonn, woselbst er 1853 außerordentlicher, 1860 ordentlicher Professor der Theologie wurde; 1864 folgte er einem Ruf an die Universität Göttingen. Unter seinen Schriften sind zu nennen: »Das Evangelium Marcions und das kanonische Evangelium des Lukas« (Tübing. 1846); »Über das Verhältnis des Bekenntnisses zur Kirche« (Bonn 1854); »Die Entstehung der altkatholischen Kirche« (das. 1850, 2. Aufl. 1857), womit er der Tübinger Schule, zu der er sich bisher gehalten, erfolgreich entgegentrat; »De ira Dei« (das. 1859); »Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung« (das. 1870–74, 3 Bde.; 4. Aufl.: 1. Bd. 1903, 2. Bd. 1900, 3. Bd. 1905); »Schleiermachers Reden über die Religion« (das. 1874); »Die christliche Vollkommenheit« (Götting. 1874) und »Theologie und Metaphysik Zur Verständigung und Abwehr« (Bonn 1881, beide zusammen in 3. Aufl. 1902); »Unterricht in der christlichen Religion« (das. 1875, 5. Aufl. 1895); »Über das Gewissen« (das. 1876); »Geschichte des Pietismus« (das. 1880–86, 3 Bde.); »Drei akademische Reden« (das. 1887); »Fides implicita« (das. 1890); »Gesammelte Aufsätze« (Freiburg 1893, neue Folge 1896). Seine in der jüngern theologischen Welt sehr verbreitete Schule kennzeichnet sich dadurch, daß sie unter Bezugnahme auf Kant alle nicht von ethischen Prinzipien ausgehende und geleitete Metaphysik überhaupt ablehnt und die ganze Glaubenslehre durch die religiös-ethische Idee des Gottesreichs als des objektiven Zweckes der Gottesoffenbarung und der sittlichen Betätigung der Gemeinde beherrscht sein läßt. Über seine theologische Richtung schrieben: L. Haug (Ludwigsb. 1885), Thikötter (2. Aufl., Bonn 1887), Lipsius (Leipz. 1888), Frank (Erlang. 1888), L. Stählin (»Kant, Lotze, A. R.«, Leipz. 1888), O. Flügel (»A. Ritschls philosophische Ansichten«, Langensalza 1886), O. Pfleiderer (Braunschw. 1891), Mielke (Bonn 1894), Pfennigsdorf (»Vergleich der dogmatischen Systeme von R. A. Lipsius und A. R.«, Gotha 1896), Ecke (»Die theologische Schule Albrecht Ritschls und die evangelische Kirche der Gegenwart«, Berl. 1897–1903, 2 Bde.), WendlandAlbrecht R. und seine Schüler«, das. 1899), VischerAlbrecht Ritschls Anschauung vom evangelischen Glauben und Leben«, Tübing. 1900), A. E. Garvie (»Ritschlian theology, critical and constructive«, Lond. 1899). Vgl. O. Ritschl, Albrecht Ritschls Leben (Freiburg 1895–96, 2 Bde.). – Sein Sohn Otto, geb. 26. Juni 1860 in Bonn, 1894 außerordentlicher, 1897 ordentlicher Professor daselbst, schrieb außer der Biographie seines Vaters noch: »Cyprian von Karthago und die Verfassung der Kirche« (Götting. 1885); »Schleiermachers Stellung zum Christentum« (Gotha 1888); »Über Werturteile« (Freib. 1895); »Nietzsches Welt- und Lebensanschauung« (2. Aufl., das. 1899); »Die Kausalbetrachtung in den Geisteswissenschaften« (Bonn 1901); »Wissenschaftliche Ethik und moralische Gesetzgebung« (Tübing. 1903); »Die freie Wissenschaft und der Idealismus auf den deutschen Universitäten« (Bonn 1905); »System und systematische Methode in der Geschichte des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs und der philosophischen Methodologie« (das. 1906).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 13-14.
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