Feuer

[381] Feuer. (Schöne Künste)

Durch diesen metaphorischen Ausdruk wird diejenige Lebhaftigkeit der Seelenkräfte ausgedrükt, die [381] eine schnelle Würksamkeit, so wol der Vorstellungs- als der Begehrungskräfte hervorbringt. In diesem Zustande folgen die Begriffe schnell auf einander, sie drängen sich hervor, die Seele würkt und begehrt mit Heftigkeit, so daß auch dadurch das Geblüth schneller angetrieben, und eine Vermehrung der innerlichen Wärme des Körpers gespührt wird. Ein geringerer Grad des Feuers wird die Lebhaftigkeit, ein stärkerer die Wuth, die Begeisterung genennt.

In so fern dieser Zustand des Gemüths durch ästhetische Gegenstände hervorgebracht wird, und auf die Bearbeitung derselben einfließt, gehört die Betrachtung seines Ursprungs und seiner Würkung zur Theorie der Künste. Denn es ist bekannt genug, was für vortheilhaften Einfluß dieser Zustand auf die Werke des Geschmaks hat.

Einigen Menschen ist dieses Feuer angebohren. Ihre Nerven haben mehr Reizbarkeit, als andrer Menschen; sie sind in ihren Begierden heftig. Was andre mit Ruhe angenehm oder unangenehm empfinden, erwekt bey diesen starke Begierden und starken Abscheu. Aus geringer Veranlasung erfolget ein allgemeines Bestreben aller Seelenkräfte, die sich auf ein Ziel, wie in einem Brennpunkt vereinigen. Von dieser Art scheinen Homer, Aeschylus, Demosthenes und Michael Angelo gewesen zu seyn; unter den neuern besitzet Voltaire diese Gabe der Natur vorzüglich.

Andre, von Natur weniger empfindlich, werden nur bey seltenern Gelegenheiten in diese Lebhaftigkeit gesetzt, die in ein Feuer ausbricht. Ihre Seele scheinet nicht von allen Seiten her empfindlich, und ihre Nerven nur für gewisse Gegenstände stark reizbar. Es geschieht nur bey ganz besondern Veranlasungen, und durch eine besondere Verbindung der Umstände, daß ihre ganze Seele in außerordentliche Würksamkeit gebracht wird. Bey dem einen thut der Schall der Posaune, und das Feldgeschrey diese Würkung; bey dem andern der Klang der Weingläser, oder der Reiz einer schönen Gestalt. Einen andern lokt der Glanz des Ruhms zur Anstrengung seiner Kräfte. Diese sehen wir bey solchen besondern Gelegenheiten in dem Feuer der Einbildungskraft. Jene größere Köpfe aber scheinen durch jeden starken ästhetischen Gegenstand leicht aufzubringen.

Da wir die allgemeinen und besondern Ursachen dieses geistlichen Feuers in den Artikeln Begeisterung und Einbildungskraft bereits näher betrachtet, auch verschiedenes von seinen Würkungen auf den Geist angemerkt haben, so wollen wir hier seine Würkungen, in so fern man sie in den Werken des Geschmaks findet, etwas umständlicher betrachten. Man erkennt aber das Feuer, in welchem der Künstler gearbeitet hat, sogleich an einem kühnen, etwas wilden, und wenn es sehr stark gewesen ist, etwas ausschweiffenden Wesen. In den zeichnenden Künsten gebiehrt dieses Feuer kühne und kernhafte Striche, die mit wenigem viel ausdrüken; Dreistigkeit und Lebhaftigkeit in den Stellungen und Bewegungen der Figuren; ein mehr ekigtes als sanft laufendes Wesen in den Umrissen; starke Massen des Hellen und Dunkeln; starke Lichter und Schatten. Alles gekünstelte, fein ausgezeichnete, vertriebene und verblasene Wesen ist fern von der Würkung des Feuers. Die meiste Stärke liegt in den Hauptsachen, und Nebendinge sind etwas flüchtig behandelt. In der Musik zeiget sich die Würkung des Feuers in schnellen, fortrauschenden Gängen, in ungewöhnlichen dreisten Accorden und plötzlichen Ausweichungen; in kühnen Figuren, und in großen Intervallen. In der Rede, sie sey gebunden oder ungebunden, in schnell fließenden Worten; kurzen Sätzen, starken und ungewöhnlichen Redensarten und Figuren, kühnen Metaphern, in einem etwas strengen Ton und Numerus. Das Feuer hat in der Dichtkunst hauptsächlich in Oden, und in dem Tragischen und Epischen statt, wo kühne Thaten, hitzige Reden, starke Leidenschaften, insonderheit Freude, Zorn, Rachsucht geschildert werden.

Das Feuer, welches sich in den Werken der Kunst zeiget, ist anstekend, es reißet uns schnell fort, unsre Seelenkräfte werden zu einer starken Anstrengung gereizt, und es kann uns in Bewundrung setzen; folglich gränzet es in Ansehung seiner Würkung an das Erhabene.

Man siehet aber leicht, daß das Feuer, wenn es den Künstler nicht in Ausschweiffungen verführen soll, mit einem großen und sichern Geschmak muß verbunden seyn. Denn in der Hitze der Einbildungskraft weicht die Besonnenheit und Ueberlegung. Es kann also leicht geschehen, daß man ausschweifft. Der feurige Künstler, der seinen Geschmak nicht auf das strengste, durch ein anhaltendes Studium geläutert hat, geräth leicht auf Abwege; er wird ausschweiffend und ungeheuer. Wird aber das [382] Feuer nur durch eine ausschweiffende Kunst in das Werk gemischt, ohne daß die Lebhaftigkeit der Sache den Künstler würklich erhizt hat, so wird dasselbe abentheuerlich. Vor diesem kalten erzwungenen Feuer haben sich insonderheit die Schauspieler und Redner, in dem, was zum mündlichen Vortrag gehört, und die Dichter und Redner in der Schreibart und dem Sylbenmaaß in Acht zu nehmen. Vornehmlich hat der Schauspieler sich zu hüten, daß sein Feuer nicht übertrieben sey; sonst fällt er ins Frostige. Er muß es nicht am unrechten Ort anwenden, er muß es in dem Grad äussern, den das Feuer des Dichters erfodert. Denn es ist nichts widrigers, als wenn geringe Sachen mit Feuer vorgetragen werden. Es beleidiget uns durch den Widerspruch, den wir zwischen dem Wesen der Sache und der Art ihrer Darstellung bemerken, und fällt demnach ins Lächerliche.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 381-383.
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