Licht und Schatten

[709] Licht und Schatten. (Zeichnende Künste)

So oft ein eingeschränktes Licht auf dunkele Körper fällt, entstehen auch Schatten: so daß Licht und Schatten in einer unzertrennlichen Verbindung stehen; besonders weil allemal die Stärke in beyden nach einerley Graden ab und zunihmt. Darum wird in der Mahlerey der Ausdruk, Licht und Schatten, wie ein einziges Wort angesehen, wodurch man die unzertrennliche Verbindung dieser beyden Erscheinungen anzeiget. Durch eine genaue aus der Form der erleuchteten körperlichen Gegenstände entspringende Vermischung des Lichts und Schattens an herausstehenden und vertieften Stellen wird vieles [709] von der wahren Gestalt derselben dem Auge sichtbar, welches ohne Schatten nicht könnte bemerkt werden. So kommt der Mond, wegen Mangel der aus seiner Rundung entstehenden Vermischung des Lichts und Schattens, uns nicht, wie er würklich ist, als eine Kugel, sondern blos als ein flacher Teller vor.

Deswegen ist die genaue Kenntnis des durch die Form der Körper, bey gegebener Erleuchtung veränderten Lichts und Schattens, ein Hauptstük der Wissenschaft des Mahlers. Es hängt aber von völlig bestimmten geometrischen und optischen Regeln ab, welche auch gemeiniglich, wie wol nicht in der erforderlichen Ausführlichkeit in den Anleitungen zur Perspektiv vorgetragen werden. Von der richtigen Beobachtung des Lichts und Schattens hängt ein großer Theil, sowol der Wahrheit, als der Annehmlichkeit des Gemäldes ab; aber dieses allein erfüllet, wie der Herr von Hagedorn gründlich bemerkt hat, das, was der Mahler in Absicht auf das Hell und Dunkele zu beobachten hat, noch nicht ganz.1

1Betracht. über die Mahlerey S. 637. Man sehe auch den Art Helldunkel.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 709-710.
Lizenz:
Faksimiles:
709 | 710
Kategorien: