Philipp Joseph, Herzog von Orleans

[316] Philipp Joseph, Herzog von Orleans, wurde 1747 geboren. Seine Mutter war so ausschweifend, daß das Geständniß, wodurch sich ihr unwürdiger Sohn einmahl für den Nachkommen ihres Kutschers ausgab, um seine Abkunft aus demokratischem Blut zu beweisen, einige Wahrscheinlichkeit bekommt. Die Jugendjahre des Herzogs verstrichen, ohne daß man sich Mühe gab, auf die Ausbildung seines Geistes einige Sorgfalt zu wenden; die Wissenschaften blieben ihm daher ganz fremd, und selbst die Lectüre von unterhaltenden Schriften fand er zu beschwerlich. Weit unwiderstehlicher zogen ihn die Freuden der Sinnlichkeit an; und er war so unmäßig in ihrem Genuß, daß er bald die übeln Wirkungen davon in vollem Maße empfand. Anstatt dem Beispiele seiner würdigen Gemahlin nachzueifern, gewöhnte er sich vielmehr an neue Laster, und ergab sich eben so muthwillig dem Trunke und dem Spiele, als er vorher unmäßig in der Liebe gewesen war. Das Spiel ward eine neue Veranlassung, zwei andre schändliche Leidenschaften seines Charakters zu enthüllen, den Geitz und die Heimtücke. Er schämte sich nicht, die niedrigsten Kunstgriffe anzuwenden, um seinen Gegnern beträchtliche Summen abzugewinnen, und spottete dann ihres Mißgeschicks mit höhnischer Schadenfreude. Er wich mit kindischer Feigherzigkeit jeder Gelegenheit aus, wobei sein Leben hätte in Gefahr kommen können, und hatte doch Eitelkeit genug, sich als Held bewundern zu lassen. Er begab sich in dieser Absicht im Amerikanischen Kriege einmahl mit als Anführer zur See: sobald jedoch sein Schiff von einer Englischen Salve bedroht wurde, überfiel ihn ein kalter Schauer; und er kroch in den Boden des Schiffs, um sich vor den Kugeln zu sichern. In einem Luftballon steuerte er einst den höhern Regionen entgegen, bat aber sehr bald seinen Begleiter, sich wieder niederzusenken, weil ihm die ätherische Luft das Athemhohlen erschwerte. Zu diesen Schwachheiten seines Geistes gesellte sich endlich ein unbegränzter Ehrgeitz und eine sträfliche Lüsternheit [316] nach dem Besitz des Throns. Ehemahls hatte er sich gar nicht um die Regierungsgeschäfte bekümmert; sobald er aber die allgemeine Gährung im Reiche gewahr wurde, so wendete er alles an, um sie zu unterhalten und für sich den möglichsten Portheil daraus zu ziehen. Das Geld, das er mit vollen Händen unter den Pobel austheilen ließ, verschaffte ihm einen zahlreichen Anhang aus den verworfensten Volksclassen; und der reine Patriotismus, den er heuchelte, gewann ihm die Ergebenheit einiger klugen und einsichtsvollen Männer. Mit Hülfe der erstern ließ er die Pläne der letztern ausführen, welche diese meisten Theils entworfen hatten, um der Sache des Volks zu nützen, nicht aber um die ehrgeitzigen Absichten des Herzogs zu begünstigen. Sobald Mirabeau und andere Häupter der Revolution gewahr wurden, daß Orleans nach der Krone strebte, verließen sie sein Interesse, und zwangen ihn dadurch, entweder seinen strafbaren Entwürfen zu entsagen, oder sich den niedrigsten Volksführern in die Arme zu werfen. Orleans, viel zu ehrgeitzig um das erstere zu thun, und zu ohnmächtig um allein zu handeln, wählte das letztere, und war daher im Laufe der Revolution allemahl auf der Seite der niedrigsten Bösewichter und abgefeimtesten Betrüger. Immer noch voll von den süßen Hoffnungen, womit er sich Aussichten auf den Thron geöffnet zu sehen glaubte, merkte er nicht, daß seine Genossen nur so lange für ihn arbeiten würden, als seine Börse eine ergiebige Quelle für ihre Bedürfnisse blieb. Er ließ sich nach dem Sturze des Königthums den Namen Egaliteʼ; (Gleichheit) geben, und nahm mit Vergnügen die Stelle im Convent an, die ihm das Pariser Departement antrug. Ungeachtet die Erfüllung seiner Wünsche mit jedem Tag ungewisser ward, ungeachtet sich die neue Republik immer mehr befestigte; so erwartete er doch stets vortheilhafte Aussichten für sich. Der Prozeß des Konigs erfüllt ihn mit teuflischer Frende; und er war unverschämt genug, ein Verdammungsurtheil über den unglücklichen Monarchen auszusprechen, und sich dabei auf das innere Gefühl seiner Pflicht zu berufen. Aber diese letzte Handlung empörte sogar diejenigen gegen ihn, die nicht viel besser als er selbst waren und ehedem zu seinen Genossen gehört hatten. Er wurde [317] der allgemeinen Schande preis gegeben, zu Marseille eingekerkert, und endlich am 6. Nov. 1793 wegen Verschwörungen gegen die Freiheit zu Paris guillotinirt. Seinen beiden jüngern Söhnen wurde 1796 erlaubt, sich nach Amerika zu begeben, wohin der älteste Sohn, der Herzog von Chartres, schon vother abgegangen war; seine liebenswürdige Tochter lebt immer noch in der Schweiz, und seine rechtschaffne Gemahlin in Spanien, wohin sie nach den Begebenheiten am 4. Sept. 1797 in Paris mit einem Jahrgehalt von 700,000 Livxes verwiesen wurde. Wie glücklich hätte dieser Unmensch in dem Schooße seiner tugendhaften Familie leben können! und wie viel Gutes würde er bewirkt haben, wenn sein Herz seiner gefälligen Bildung und seinem einnehmenden Betragen entsprochen hätte! – Ueber die fortdauernde Existenz einer Orleansschen Faction in Paris ist bis auf den heutigen Tag viel gestritten worden. Ein gewisser Montjoye hat (1796) ein großes Werk in drei Bänden darüber herausgegeben, und dabei wahrscheinlich zur Absicht gehabt, einige jetzige Machthaber unter dem Vorwande verächtlich zu machen, daß sie ehemahls Orleans gedient hätten. Das Dasein einer Orleansschen Faction bedürfte wohl eben so starker Beweise zur Bestätigung, als die Meinung, daß Orleans in dem Jahre 1791 sich aufrichtig mit der königlichen Familie habe versöhnen wollen, und daß er erst dann ihr tödtlicher Feind geworden sei, nachdem diese Versöhnung durch die Cabale der Hofleute vereitelt worden, und er aus dem Schlosse des Königs, wohin er in der besten Absicht gegangen war, mit Schimpf und Spott bedeckt sich zurückziehen müssen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 316-318.
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