Rudolph I.

[349] Rudolph I. Grafvon Habsburg, der Stammvater des noch jetzt auf dem Deutschen Kaiserthron, in Oesterreich, Ungarn und Böhmen regierenden Oesterreichischen Hauses, war einer der ruhmvollsten und verdienstlichsten Fürsten des Mittelalters. Strenge Gerechtigkeitsliebe, Mäßigung, Großmuth gegen Ueberwundene, Tapferkeit, ausgezeichnete Feldherrentalente, Entschlossenheit, Klugheit, Gewandheit in Staatssachen, Redlichkeit und Treue im strengsten Sinne, so wie überhaupt die trefflichen Anstalten, die er zur Wiederherstellung der durch langwierige Throneserledigung ganz entflohenen Ruhe und Ordnung des Deutschen Reichs und zur Aufrechthaltung des völlig gesunkenen Glanzes der Kaiserwürde traf, machen seinen Namen unsterblich; und wenn man in ihm die größte Achtung für Menschenwürde, die herablassendste Sanftmuth und Güte, und die sorgfältigste Schonung des Lebens seiner Unterthanen und Feinde selbst in den glücklichsten Kriegen wahrnimmt: so vergißt man gern, daß ihn bisweilen sein Jähzorn zu großer Heftigkeit verleitete, und daß er vor seiner Thronbesteigung sich nach der Sitte des Zeitalters durch zahlreiche Befehdungen furchtbar machte. Er stammte aus dem alten, obgleich seinem wahren Ursprung nach nicht ganz bekannten, Geschlechte der Grafen von Habsburg, einem noch in seinen Ruinen vorhandenen Schlosse in der Schweiz, unweit des Städtchens Brugg im Canton Bern, wurde 1218. am 1. Mai daselbst geboren und am Hofe Kaiser Friedrichs II. erzogen und zeichnete sich vor den andern Deutschen Reichsfürsten (denn die Schweiz war damahls noch ein Theil von Deutschland) durch Krlegsthaten und Befehdungen, die er während des langen Zwischenreichs von [349] 1250–73 ausübte, sehr vortheilhaft aus. Da er für seine Person Kraft und Energie genug besaß, um das Scepter zu führen, aber doch den unruhigen Ständen wegen der nicht beträchtlichen und zerstreuten Erblande, die er in der Schweiz, Schwaben und Elsaß hatte, nicht so furchtbar schien, daß er ihren Gewaltthätigkeiten und ungerechten Anmaßungen Einhalt thun könnte; so wählten ihn die sämmtlichen Churfürsten 1273 zu Frankfurt am Main zum Reichsoberhaupte. Jedoch widersprach Ottokar, König von Böhmen, dieser Wahl und zog mit einem zahlreichen Heere gegen ihn zu Felde, nachdem er in die Reichsacht erklärt worden war. Rudolph überwand diesen mächtigen Gegner, der unter allen Reichsfürsten der furchtbarste war, mit einem geringen Heere, nöthigte ihn 1276 zur Abtretung des ganzen jetzigen Oesterreichischen Kreises (mit Ausschluß von Tirol), gab 1282 die ihm entrißnen Länder seinen Söhnen, Albrecht und Rudolph, deren erster nachher die Deutsche Krone erhielt, zur Lehn, und wurde dadurch der Stifter des Oesterreichischen Hauses. Der unruhige Ottokar brach den Frieden aufs neue, wurde aber wieder geschlagen und blieb auf der Flucht. Sehr leicht war es nun dem edeln Rudolph, ganz Böhmen zu unterjochen; allein der Gedanke, daß dadurch neues Blutvergießen erregt würde, hielt ihn ab, diese vortheilhafte Gelegenheit zu ergreifen. Er suchte vielmehr die Macht seines Hauses durch Staatsheirathen zu erweitern, verschaffte seiner Familie die nächste Anwartschaft auf die Böhmische Krone, führte noch einige glückliche Kriege, besonders gegen aufrührerische Reichsvafallen, und wandte die meiste Zeit seines Lebens dazu an, daß in Deutschland innere Ruhe und Sicherheit hergestellt würden. In der That befand sich dieses Reich in der schrecklichsten Zerrüttung und Anarchie, und war seinem Untergange nie näher, als damahls, da er den Thron bestieg. Unaufhörliche Befehdungen und Räubereien, Uneinigkeit Aller gegen Alle, Mangel eines allgemeinen Reichsoberhauptes, ewige Kämpfe der geistlichen und weltlichen Macht, Widersetzlichkeit gegen Befehle, Gesetzlosigkeit und alle Greuel der Kreuzzüge und des Feudalsystems hatten es zum Schauplatze des grenzenlosesten bürgerlichen Elends gemacht, und das Band, welches alle Staaten zu einem Ganzen vereinigte, völlig aufgelöst. Aber Rudolph [350] that alles, was nur damahls möglich war, um den fernern Fortschritten des Unwesens Einhalt zu thun; denn ganz aufheben konnten es kaum Jahrhunderte. Er machte schon 1274 auf dem Reichstage zu Nürnberg strenge Befehle gegen die Räuber bekannt, die er mit der größten Schärfe ausführte; und nachher mußten die Deutschen Stände in Franken, Schwaben, Bayern und den Rheingegenden mehrmahls einen Landfrieden (oder Abstellung aller Fehden, s. Fehde) auf 5 Jahre beschwören. Die Räubereien und Befehdungen wurden mit dem Tode oder andern sehr harten Strafen geahndet, die Widerspenstigen durch Gewalt der Waffen überall bekämpft, eine ungeheure Anzahl der furchtbarsten Raubschlösser zerstört und geschleift und selbst die Geistlichkeit für ungerechte Anmaßungen zur Strafe gezogen. Die Ruhe fing wieder an zurückzukehren: es wurde Rudolphs Nachfolgern nun leichter, auf dem von ihm gebahnten Wege fortzufahren; hätten sie alle Rudolphs Geist und muthvollen Nachdruck besessen, so würden gewiß diese Unordnungen nicht noch über zwei Jahrhunderte fortgewüthet haben. Er starb zu Germersheim 1291, am 15. Jul. nach zurückgelegtem 73. Lebensjahre. – Eine schöne Charakteristik desselben vom Hofrath Girtanner in Göttingen steht im 2. Th. des Pantheon der Deutschen (Chemnitz, 1795. 8.); auch ist eine lesenswürdige und aus den Quellen geschöpfte Biographie desselben von Leonard Meister, (Nürnberg, 1783. 8.) erschienen.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 349-351.
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