Legende

[715] Legende (legenda) hieß in der ältern röm. Kirche das Buch, welches die beim Gottesdienste vorzulesenden (lat. legere) Abschnitte der heiligen Schrift enthielt. Vorzugsweise werden aber die Lebensbeschreibungen und Geschichten von den wunderbaren Schicksalen der Märtyrer und Heiligen, weil sie zum lebendigen Andenken und zur Nachahmung ihres gottseligen Lebens, als für den Christen besonders lesenswerth (legenda) erschienen, Legenden genannt. Wegen ihres erbaulichen Inhalts sammelte und ordnete man die Legenden nach den Festtagen der Heiligen und nannte dergleichen Sammlungen gewöhnlich Kalendarien, weil aus ihnen an jedem Tage des Jahres eine Heiligengeschichte vorgelesen werden konnte, was sowol beim öffentlichen Gottesdienste, als namentlich in den Klöstern in den Morgenandachten (Metten) und während der Eßzeit der Mönche und Nonnen geschah. Eine berühmt gewordene Legendensammlung ist die von Jakob de Voragine, Erzbischof von Genua 1272 unter dem Namen der sogenannten goldenen Legende (legenda aurea) veranstaltete, der die Kirche einen vorzüglichen Werth ertheilte und die mehr als zwei Jahrhunderte hindurch mit großem Beifall gelesen wurde. Wie aber auch diejenigen Heiligengeschichten, die in der Sage fortlebten, Legenden genannt wurden, so erhielt diesen Namen bald auch jede andere Geschichte und Erzählung von einem ihnen ähnlichen, wunderbaren und märchenhaften Inhalte. Wenn die Legenden für die Geschichten nur eine geringe Ausbeute liefern, so sind sie als eine besondere Gattung poetischer Erzeugnisse, in denen sich harmlos und ungeschminkt der kirchliche Sinn früherer Jahrh. spiegelt, nicht ohne Bedeutung, was jedoch nicht von allen Legenden gilt, da ein großer Theil derselben in ebenso abgeschmackten als schädlichen Märchen besteht, von einem kindischen und unsaubern Wunderglauben erzeugt, oder für denselben berechnet. Als kirchliche Dichtungen sind die Legenden in neuerer Zeit nicht nur bearbeitet worden, sondern man hat auch in ihrem Geiste neue zu dichten gesucht, wozu jedoch die aufgeklärte und verständige Betrachtungsweise unsers Zeitalters wenig geeignet ist. Ein Haupterfoderniß der Legende, wenn sie dichterischen Werth haben soll, ist das Wunderbare, gewonnen im liebreichen Umgange Christi und seiner Heiligen mit armen und um ihr Heil bekümmerten Gläubigen, im Ausdrucke der schlichten und einfachen, aber innigen und von christlicher Begeisterung durchdrungenen Rede, die mehr ein reiches religiöses Leben mittheilen, als durch kunsteiche und geschmückte Worte ergötzen will. Herder, Goethe, Uhland, A. W. Schlegel sind die ausgezeichnetsten neuern Legendendichter.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 715.
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