Notherben

[308] Notherben und nothwendige Erben nennt man diejenigen gesetzlichen Erben, welche, wenn der Erblasser ein Testament macht, darin entweder zu Erben eingesetzt oder aus gesetzlichen Gründen ausdrücklich enterbt sein müssen. Sie dürfen in keinem Testamente mit Stillschweigen übergangen sein, auch genügt es nicht, wenn der Theil der Erbschaft, auf welchen sie Anspruch haben, ihnen unter einem andern Titel, z.B. als Legat, hinterlassen wird. Man nennt diesen Erbantheil den Pflichttheil und daher die Notherben auch Pflichttheilsberechtigte, obwol der letztere Begriff etwas weiter ist und auch Die umfaßt, welche zu einem gewissen Antheil berechtigt sind, ohne auf ausdrückliche Erbeinsetzung oder Enterbung Ansprüche zu haben, z.B. die Ehegatten. Während nämlich die Intestaterben (s.d.) im Allgemeinen erst dann zur Succession kommen, wenn kein Testament da ist, erhalten die Ehegatten ihren Erbantheil auch wenn der Erblasser testirt hat und es kann der ihnen gebührende Antheil (1/4 wenn sie mit Descendenten und 1/3 wenn sie mit andern Verwandten concurriren) nicht geschmälert werden, wofern nicht ein Enterbungsgrund gegen sie vorliegt. Ein solcher wäre, wenn der zu Enterbende die Eingehung der Ehe durch Betrug oder Zwang veranlaßte, dem Ehegatten nach dem Leben trachtete, ihn böslicherweise verließ oder sonst gegen ihn sich eines Verbrechens, worauf wenigstens Zuchthausstrafe steht, z.B. Ehebruch, schuldig machte. Zu den Pflichttheilsberechtigten, ohne Notherben zu sein, zählt das röm. Recht auch noch die Geschwister des Erblassers, doch blos in dem Falle, wenn ihnen in einem Testamente eine übelberüchtigte Person vorgezogen wird. Ihr Pflichttheil beträgt 1/4 ihrer Intestaterbportion. Eigentliche Notherben sind aber blos 1) alle Descendenten oder Verwandte absteigender Linie und zwar alle ehelichen oder auch nach einem öffentlichen Verlöbniß erzeugten, sowie uneheliche Kinder, deren Ältern sich später miteinander verheirathet haben; ist aber eine solche Verheirathung nicht erfolgt, so gebührt ihnen blos der Pflichttheil von der Mutter, und vom Vater erst dann, wenn eine vollkommene Legitimation vorhergegangen ist. Adoptirten und Arrogirten (s. Adoption) gebührt der Pflichttheil wie ehelichen Kindern, wenn nur diese dadurch nicht in ihrem Pflichttheile gekürzt werden. Sind keine Descendenten vorhanden, so haben 2) die Ascendenten Ansprüche auf den Pflichttheil, jedoch wenn der Erblasser unehelicher Geburt ist, nur die von mütterlicher Seite. Der Betrag des Pflichttheils ist die Hälfte des Nachlasses, wenn fünf oder mehre Kinder als Notherben vorhanden sind, 1/3 aber, wenn blos vier oder weniger concurriren. Sind unter den berechtigten Descendenten auch Enkel, so treten diese an die Stelle ihres Vaters oder ihrer Mutter, sie erhalten aber zusammen immer nur so viel, als jener oder jene allein erhalten haben würde. Kommen in Ermangelung der Descendenten die Ascendenten an die Reihe, so erhalten diese immer den dritten Theil des Nachlasses. Der Pflichttheil darf weder durch Ehestiftungen, Schenkungen, Legate oder auf irgend eine andere Weise geschmälert oder beschwert werden und alles der Art Angewendete wird als ungültig betrachtet. Gesetzliche Gründe, aus denen Ältern ihre Kinder enterben können, sind: 1) Wenn diese sich an dem Ascendenten selbst thätlich vergreifen oder ihm, gleichviel ob mit Erfolg oder nicht, nach dem Leben trachten; 2) wenn das Kind wegen peinlichen Verbrechens seinen Ascendenten angeklagt hat; 3) wenn das Kind mit andern Verbrechern als Theilnehmer sich verbindet; 4) wenn der Sohn mit der Stiefmutter in verbotene Verhältnisse tritt oder 5) für die verhafteten Ältern nicht Bürgschaft leisten will; 6) wenn Kinder die Ältern hindern, zu testiren oder ihr Testament zu ändern; 7) wenn Kinder eine entehrende Lebensweise ergreifen gegen der Ältern Willen, vorausgesetzt, daß diese nicht dasselbe Gewerbe treiben; 8) wenn sie gegen der Ältern Willen ein Ehegelöbniß schließen und vollziehen; 9) wenn sie eine in Deutschland nicht geduldete Religion annehmen und 10) sich ihrer in Wahnsinn verfallenen Ältern nicht annehmen. Kinder können ihre Ältern rechtsgültig enterben, wenn der Ascendent das Kind wegen Capitalverbrechen beschuldigt, ihm nach dem Leben trachtet, sich des wahnsinnigen Kindes nicht annimmt, der Vater mit der Schwiegertochter Unzucht treibt und ein Gatte dem andern nach dem Leben stellt, in welchem Falle der schuldige Theil enterbt werden kann; endlich wenn die Ältern die Kinder hindern, zu testiren oder eine in Deutschland nicht geduldete Religion annehmen. – Die besondern Gesetzgebungen stimmen jedoch hinsichtlich dieser Bestimmung und wegen der Größe des Pflichttheils nicht überein.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 308.
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