Scott

Scott

[144] Scott (Sir Walter), der allgemein bekannte und besonders noch vor einigen Jahren hochgefeierte engl. Dichter und Romanschriftsteller, wurde 1771 zu Edinburg in Schottland geboren, wo sein Vater ein angesehener Rechtsgelehrter war.

Da er als Knabe von schwächlichem Körperbau war und namentlich an einer Verkrüppelung des rechten Fußes litt, so wurde er aufs Land zu seinem Großvater gebracht, der ein Landgut in dem Tweedthale besaß, welches die Wiege der schott. Volkspoesie ist. Überall traf er hier auf Stellen, welche die Geschichte Schottlands unvergeßlich gemacht hatte, und aus dem Munde des Volkes vernahm er die Sagen, an denen sein Vaterland so reich ist und die sich durch einen seltenen Gehalt von urkräftiger Poesie auszeichnen. Seine Körperkräfte erstarkten und seine Phantasie wurde auf das lebhafteste angeregt und genährt. Sein Mutter, die Tochter des berühmten Arztes John Rutherford, hatte großen Einfluß auf die erste geistige Entwickelung des Knaben; auf den seit 1779 von ihm besuchten Lehranstalten machte dieser jedoch keine besondern Fortschritte. Seine Mitschüler aber liebten ihn wegen seiner Munterkeit und seiner Gabe, Sagen und Märchen zu erzählen. Auch auf der Universität Edinburg that sich S. nicht durch Fleiß hervor, und es war mehr der Einfluß seiner Verwandten als die Anerkennung seiner Kenntnisse, wodurch es bewirkt wurde, daß S. schon im 21. Jahre seines Alters unter die Anwalte beim großen Gerichtshofe zu Edinburg aufgenommen wurde. Er war nun eifrig bemüht, die Kenntnisse nachzuholen, deren er in seinem Berufe bedurfte, und wurde 1799 Untersheriff der Grafschaft Selkirk, nachdem er sich kurz vorher mit Miß Carpenter verheirathet hatte, mit der er vier Kinder zeugte und bis 1826 in sehr glücklicher Ehe lebte. S. war schon 25 Jahre alt geworden und hatte noch nie daran gedacht, als Schriftsteller sich zu versuchen. Erst das Studium der deutschen Literatur und besonders Bürger's »Lenore« und Göthe's »Erlkönig« sollen ihn dazu angeregt haben. Übertragungen aus dem Deutschen waren seine ersten schriftstellerischen Arbeiten, und in seinem 32. Jahre faßte er den Entschluß, sich ganz der Laufbahn eines Schriftstellers zu widmen, welches er um so eher konnte, da ihn sein väterliches Vermögen und seine Anstellung als Sheriff äußerlich sicher stellten. In geringer Entfernung von Edinburg bezog er ein durch seine schöne Lage ausgezeichnetes Landgut. Er beschäftigte sich vorzugsweise mit der alten schot. Volkspoesie und schrieb 1802 über dieselbe ein Werk, welches bald eine neue Auflage erlebte, die er durch eine Sammlung neuerer, von ihm selbst und Andern den alten nachgebildeter Balladen vermehrte. Sein erzählendes Gedicht »Der Gesang des letzten Minstrel« (1805) erhöhte noch seinen Ruhm, und er erhielt die Stelle eines ersten Gerichtsschreibers in dem schot. Obergerichte, welche einen ansehnlichen Gehalt mit wenig Arbeit verband. Mit dem größten Beifall wurde sein episches Gedicht »Marmion« (1808) und »Die Jungfrau vom See« (1810) aufgenommen. Von diesem Werke wurden binnen drei Monaten 8000 Exemplare verkauft. Er gab hierauf noch mehre erzählende Gedichte heraus, welche jedoch den ersten an poetischem Werthe nachstanden und das Publicum kälter ließen, besonders da indeß der geniale Lord Byron (s.d.) zum allgefeierten Liebling desselben geworden war. Kaum bemerkte S., daß seine neuen Dichtungen das Publicum weniger ergriffen als die frühern, so trat er von der bisher verfolgten Richtung zurück. Er hatte sich indeß mit seinen Werken so viel erworben, daß er 1811 am Tweed eine Besitzung sich kaufte und dieselbe ganz nach seinem Geschmacke einrichtete. [144] Dieselbe lag an einer Furt, welche zu der noch in ihren Trümmern von ehemaliger Pracht zeugenden Abtei Melrose führte, und er nahm hiervon Gelegenheit, sie Abbotsford (Abtsfurt) zu nennen. Hier fiel ihm ein schon früher begonnener Roman, welcher die Sitten und den Volkscharakter der Schotten darstellte, in die Hände; er vollendete ihn und gab ihn 1814 unter dem Titel »Waverley« heraus. Niemand als der Buchdrucker erfuhr den Namen des Verfassers, und das Geheimniß der Autorschaft wurde festgehalten, auch nachdem »Waverley« die glänzendste Aufnahme gefunden hatte und ihm eine Reihe anderer ähnlicher Romane gefolgt waren. Der öffentliche Beifall wuchs mit jedem neuen Romane, die endlich zu einer Reihe von 74 Bänden anwuchsen. In gleichem Maße nahm auch die Neugier nach dem Namen des Verfassers zu, man nannte ihn »den großen Unbekannten«, und obschon Viele auf S. vermutheten, so gelangte man doch erst zur Gewißheit, als sich dieser selbst 1827, gedrängt durch die Verhältnisse, als Verfasser der Waverley-Romane öffentlich bekannte. S. hatte neben seiner so überaus fruchtbaren Thätigkeit als Romanschriftsteller noch andere schriftstellerische Arbeiten fortwährend veröffentlicht. Er war Mitarbeiter an Zeitschriften, schrieb mehre wissenschaftliche Werke, namentlich über Schottland und Island, und poetische, unter diesen auch dramatische. Georg IV. ertheilte ihm 1820 die Würde eines Baronets. Er hatte sich durch sein Talent und seine unermüdete Thätigkeit ein ansehnliches Vermögen erworben, als ihm dasselbe 1826 durch den Bankrott seines Verlegers, des Buchhändlers Constable in Edinburg, plötzlich entrissen wurde und ihm nichts übrig blieb als eine Schuldenlast von mehr als 120,000 Pf. Sterl. Einen noch größern Schmerz hatte er zu ertragen, als ihm seine geliebte Gattin in demselben Jahre durch den Tod entrissen wurde. Der Verlust seines Vermögens drückte ihn nicht danieder, er schränkte sich sogleich in seinen Ausgaben auf alle Art ein und erbat von seinen Gläubigern nur, ihm Zeit zu lassen, so hoffe er sie noch alle zu bezahlen. Zugleich versicherte er zum Vortheil derselben sein Leben auf 22,000 Pf. Sterl. Sein nächstes Werk: »Das Leben Napoleon's«, zu welchem er 1826 in Paris Stoff sammelte, brachte ihm auch eine sehr ansehnliche Summe ein, doch schmälerte es durch seine einseitige Auffassung und flüchtige Behandlung des Gegenstandes den Ruhm des Verfassers. Hierauf beschäftigte er sich mit einer verbesserten Ausgabe seiner Romane und mit einer Ausgabe seiner poetischen Werke, schrieb eine Geschichte Schottlands und anziehende Darstellungen aus der schot. Geschichte für seine Enkel unter dem Titel »Erzählungen eines Großvaters«, und Briefe über Dämonologie. Doch so angestrengtes Arbeiten, durch welches ihm gelungen war, 1830 bereits 54,000 Pf. Sterl. von seiner Schuld zu bezahlen, schwächte seine Gesundheit, und er mußte 1831 eine Reise nach Italien unternehmen, um, wo möglich, wieder zu Kräften zu kommen. Aber die Kraft seines Lebens war gebrochen, mit unaufhaltsamer Sehnsucht eilte er in seine Heimat zurück, erreichte auch noch Abbotsford, starb aber daselbst im Herbst 1832. In den prachtvollen Überresten der Kirche zu Driburgh-Abbey am Tweed wurde er begraben. Seine Werke sind größtentheils in alle lebende Sprachen übersetzt worden, seine Romane namentlich haben den größten Kreis von Lesern gefunden den vielleicht jemals ein Schriftsteller gehabt hat. Sie zeichnen sich aus durch die Wahrheit und Lebendigkeit der Schilderung sowol der Sitten und Charaktere als der Umgebungen, in welchen seine Personen sich bewegen. Doch ist nicht zu leugnen, daß viele seiner Werke an einer nicht zu lobenden Breite leiden, und die meisten weniger wahre Kunstwerke als interessante Schilderungen von Begebenheiten, Sitten und Naturschönheiten sind. Von Person war S. groß und wohlgewachsen, nur daß ihn sein gelähmter Fuß am aufrechten Gange hinderte. Sein Wesen war überaus einnehmend und wohlwollend, und durch sein Benehmen gegen seine Gläubiger, nach seinem unverschuldeten Unglücke, hat er sich den Ruhm der höchsten Rechtschaffenheit erworben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 144-145.
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