Wasserweihe

[668] Wasserweihe. Das Fest der Wasserweihe ist eines der merkwürdigsten der christlichen Kirche und wird von morgenländischen Christen und Griechen jährlich am 6. Jan. nach russ., oder 18. Jan. nach unserm Kalender, zum Gedächtnisse der Taufe Jesu im Jordan durch Johannes begangen. Dieser Fluß fließt allerdings unter einem so milden Himmelsstriche, daß er nie zufriert, während in Rußland, wo dies Fest in den größern Städten mit außerordentlichem Pomp gefeiert wird, der festliche Tag in den strengsten Winter fällt. Am glänzendsten geht es dabei in Petersburg her, wo die kaiserliche Familie dabei anwesend zu sein pflegt. Einem der kais. Paläste gegenüber wird auf dem mit mehr als 2 F. dicken Eise bedeckten Newastrome ein nach acht Seiten offener Tempel von buntem Holzwerke errichtet, dessen Kuppeldach ein Kreuz ziert. Inwendig sind Bilder von Heiligen und dem kais. Palaste gegenüber allemal eine Darstellung der Taufe Jesus im Jordan angebracht. Am Festtage wird unter dem Tempel eine große Öffnung ins Eis gehauen, die kais. Garden stellen sich auf dem Strome und vor dem Palaste auf, dürfen aber bei noch so strenger Kälte nicht in Mänteln erscheinen, und der Hof und die Geistlichkeit begeben sich gegen Mittag aus der Kapelle des Palastes in Procession nach dem Tempel auf der Newa. Voran ziehen Fahnen, Heiligenbilder, die Sänger der kais. Kapelle, die Geistlichkeit, die von Unteroffizieren getragenen Fahnen der Garderegimenter, und den Beschluß macht der Kaiser mit den kais. Prinzen und dem Hofe. Die Kaiserin sieht mit ihrem Gefolge von einem Balcon des Palastes zu. Es wird hierauf vom ersten Geistlichen der Festgottesdienst gehalten, durch Eintauchen eines Crucifixes in den Strom die Wasserweihe vollzogen, wobei das Militair und versammelte Volk niederknieet, sodann ein Gefäß mit geweihtem Wasser dem Kaiser überreicht und mittels eines großen Wedels davon über die Fahnen und Anwesenden ausgesprengt, wozu die Kanonen der Festung gelöst werden und alle Glocken läuten. Sodann defilirt das Militair am Kaiser vorüber und empfängt die geweihten Fahnen wieder; kaum aber verlassen Hof und Geistlichkeit den bunten Tempel, so drängt sich das Volk heran, um von dem geweihten Wasser zu schöpfen, welchem wunderthätige Heilkräfte zugeschrieben werden, und es gibt immer noch Mütter, welche nach alter Sitte ihre Säuglinge in die eiskalte Flut tauchen und damit etwas recht Verdienstliches und Heilsames zu thun glauben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 668.
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