Stickereien

[412] Stickereien, fanden sich schon im grauen Alterthume, und wir haben bereits mehrfach derselben erwähnt. Der Wunsch auf Kleidungsstücken kleine Ornamente anzubringen, regte sich von jeher unter den Frauen; sie versuchten zuerst, wie noch jetzt viele wilde und halbwilde Nationen, durch bunte, in gewisser Regelmäßigkeit wiederholt gestochene Fasern und Fäden kleine Muster auf Näthen und Säumen anzubringen. Das Pflanzenreich lieferte, ehe Wolle, Seide und Baumwolle gekannt waren, manches Material dazu; die abgetrockneten Sehnen geschlachteter Thiere verschmähte man auch nicht. Sie wurden ausgefasert und mit diesen festen, blendweißen Fäden gestickt. Es läßt sich vermuthen, daß die ehemaligen Morgenländerinnen gewiß auch schon den Einfall hatten, Vogelfedern zur Stickerei zu nehmen; aber nichts gleicht der Pracht der Federstickereien, die noch jetzt in Mexico und Brasilien gemacht werden. Schon vor Cortez stickten die Mexicanerinnen so schön, und es darf uns daher nicht unglaublich erscheinen, wenn alte Schriftsteller von Seiden- und Wollenstickereien der Griechinnen sprechen, die mit der Malerei wetteiferten. Allmälig freilich nur hatte von den frühesten Versuchen bis zu so hoher Kunstfertigkeit der Uebergang sein können; allmälig ging sie, die jedenfalls Plattstich war, verloren. In Rom, von übersiedelten Griechinnen, die als Sclavinnen für ihre Domina sticken mußten, nur noch zu Verzierungen ausgeübt, zeigte sich die Stickerei nach der Völkerwanderung in den Klöstern wieder. War sie einst im anmuthigen Griechenland die Schwester der Malerei gewesen, so erhielt sie die bestandene Verwandtschaft[412] wenigstens noch durch Gleichheit des Geschicks. Steif, im Geschmacke der Byzantiner, wie man malte, mit Gold, Perlen und Edelsteinen überladen, stickte man auch Altarbekleidungen, heilige Bilder, oder Prachtröcke für Madonnen und Religiosen. Fahnen, Schärpen und Decken waren den Händen weltlicher Frauen anvertraut; doch alles das stickte man in Plattstich und gewöhnlich nach selbst entworfenen Zeichnungen. So lange Blumen, Arabesken, Denksprüche u. d. gl. das Ziel blieben, ging die Sache gut; aber mit dem Vorschreiten des Luxus sollte auch die Stickerei wieder der unterdeß weit voraus geeilten Malerei näher gebracht werden. Es sollten, ohne daß man zu malen wußte, Schlachten, Jagden, Salomo's und Paris Urtheil gestickt werden. Die Aufgabe löste die Tapisseriearbeit, eine Nachahmung der Mosaik. Sie, bei der es um große Gemälde wiederzugeben, wenig Kopfzerbrechen kostete, wenn man nur richtig zählt und Farben wählt, ward die Lieblingsbeschäftigung der Damen, welche die langweilige Gold- und Seidenstickerei zu Verzierung an Kammermädchen und Lohnarbeiterinnen wiesen. Der großen, eckigen Formen des Kreuzstichs oder gros point überdrüssig, ging man mit der Zeit zum petit point über. Die Gesichter der Figuren hatte man schon früher gern damit gebildet, weil dazu feinere Nuancen im kleinern Raume nöthig waren. Nicht selten findet man auch auf solch' alten Tapisseriestücken die Gesichter mit schwacher cordonnet-Seide, die wie Schnürchen gestochen ist, nach dem Oval und übrigen Formen vermittelst Unterlage, gleichsam bassirt, erhaben genaht. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts kam man wieder zum Plattstich, aber in haardünner offener Seide zurück und gefiel sich besonders in Darstellungen von Phantasieblumen und Landschaften. Wasser und Luft ward bei letztern gewöhnlich auf den weißseidenen Grund gemalt. Zugleich erschien auch die Creppstickerei. Sie ahmt durch schräge und horizontale Stiche die Schraffirungen des Kupferstiches nach. Das einfache Material sind die ausgezogenen Faden des schwarzen Crepps, wegen ihrer[413] Haltbarkeit und gleichmäßigen Feinheit dazu erwählt. Es ist diese Arbeit das Höchste weiblichen Kunstfleißes, doch auch das Undankbarste, weil man mit aller Mühe nichts erreicht, als gute Nachbildung einer bereits auf Papier vorhandenen Kunstsache, die gerade denselben Zweck, ein Bild zu geben, erfüllt. Neben dieser Stickerei im kunstvollen Style ging einfach, doch nützlich, schon längst die Plattstickerei in weißer Baumwolle zu Gewändern, Gardinen, Besetzungen etc. Frankreich war es vorbehalten, die Weißstickerei zu vervollkommnen, indem es ihr durch Unterziehen und Ueberlegen mit Fäden mehr Haltbarkeit und gefälligeres Ansehen verlieh. Die sogenannte französische Weißstickerei verdrängte bald die offene gänzlich und ist jetzt, wo das Interregnum des Spitzengrunds mit seinen Variationen ein Ende erreicht, wieder mehr denn je en vogue. Ehe wir zu den neuern Stickereien übergehen, erwähnen wir noch einer Arbeit, die eigentlich wohl zum Nähen gehört, aber wegen ihrer häufigen Verbindung mit der Stickerei hier genannt werden soll. Es ist der den Augen so gefährliche Durchbruch. Im vorigen Jahrhunderte pflegte man, um bei der Weißstickerei den Wechsel von Stärke und Durchsicht recht hervorzuheben, den Kern der Blumen, die Räume zwischen Arabesken und die rivières zwischen Guirlanden durch kleine Muster zu füllen, die mit Zwirn in den durch ausgezogene Fäden mühsam vorbereiteten Grund noch mühsamer eingesetzt wurden. Vor einem Jahrzehent ungefähr versuchten die Frauen wieder diese Verschönerung hinzuzufügen, standen jedoch der Schwierigkeit halber bald davon ab und begnügten sich mit Spitzengrund-Einsetzen. Das größte Aufsehen machte fast um dieselbe Zeit die Naturstickerei, von der wir bereits unter diesem Artikel ausführlicher sprachen. Ihr folgte die geschorne Stickerei in der Gunst der Damen. Ueber sie, die noch immer beliebt ist, aber oft zu umständlich behandelt wird, sei hier noch Einiges gesagt. Das Verlangen, die sammetige Oberfläche einiger Teppichsorten durch Stikkerei wiederzugeben, brachte zuerst die Idee hervor, bei jedem Kreuzchen[414] des gros point eine kleine Schlinge von Wolle, wie der ausgerissene Sammet zeigt, stehen zu lassen. Sie bildeten, wenn man sie nach Beendigung der Arbeit aufschnitt, das Muster in haariger Sammetfläche. Daß sich diese Entdeckung wohl eigene, Thierfelle nachzubilden, sah man bald ein und versuchte Hündchen, Kätzchen u. dgl. anfänglich der Form nach nur durch die Schattirung wiederzugeben, bis man dahinterkam, daß die Scheere dabei das Meiste thun könne, wenn sie die Gliedmaßen nach Höhe und Tiefe abschöre und somit ein gesticktes basrelief schüfe. Endlich warf man auch die Muster bei Seite und wagte es nach aufgezeichneten Contouren in bunte Wollstoffe mit Zephirwolle zu sticken. Um eine Gleichmäßigkeit der Stiche zu erzwingen, stach man den äußern Umriß über ein dünnes, etwa 6 Linien hohes Fischbein und füllte dann das Innere entweder nach getuscht bemerkten Schatten, oder, wenn man das Zeichnen verstand, nach eigenem Ermessen mit dichten Stichen aus. Die schwierigste Aufgabe blieb immer richtiges Abscheeren. Zur Umgebung wählte man am passendsten den Plattstich, wobei ein etwaniger Rasenvordergrund ebenfalls sammetartig gestickt wurde. Baume und Büsche konnten durch laubähnlich gekreuzte, leicht offene Stiche gut nachgebildet werden, versteht sich alles in seiner Wolle. Der Abwechselung halber stickten die Damen vielfach Vögel auf diese Art, was immer unnatürlich blieb, da ja das Gefieder stets glänzend und glatt ist, den Schwan ausgenommen, der im Sammetstich gearbeitet ein herrliches Bild für Ofenschirme gibt. Verbunden mit dieser Stickerei wurde später eine alte Manier, Figuren, deren Köpfe und Hände aus papier maché aufgeleimt wurden, mit Gewändern aus wirklichen Zeugen zu bekleiden. Man drappirte zu diesem Zwecke die Fleckchen genau nach der Vorzeichnung, stach sie fest, gab durch passende Seide oder Wolle den Falten ihre Schatten, durch Höhen, mittelst Wolle, die Lichtstellen an. Perspectiven nähete man in Plattstich, oder gab sie, wenn es Gebäude waren, durch ausgeschnittene Fleckchen an. Der[415] Vordergrund bot erhabene Gegenstände aus dem Pflanzenreiche, die im Styl der Naturstickerei gearbeitet waren. Entfernt verwandt mit diesen Arbeiten, die durch Erhöhen Thiere und Menschen abschildern wollen, ist die Stickerei mit Crepp und Gaze, welche bescheidener sich nur zu Blumen und Früchten versteigt. Man schneidet zu ersterem Zwecke kleine viereckige Stücken des lustigen Stoffes zurecht, faßt sie übereck zusammen und sticht nun mit Seide. eine Linie von einer Endecke zur andern; zieht hierauf zusammen und zupft das gewonnene Bläschen in die Blattform, die es haben soll. Aus solchen größern und kleinern Blättern setzt man die Blumen zusammen und hilft, wo Schatten und höhere Färbung es heischt, mit dem Pinsel nach. Früchte werden mit Watte und, wo Glanz nöthig ist, mit Seide unterlegt, die grünen Blätter in Chenille oder Wolle platt gestickt. Um Creppfrüchte hineinzulegen, benutzt man Hälften von Alaunkörbchen, oder näht präparirte Strohhalme in Korbform auf, sie mit Strohverzierungen randend. Um Weintrauben, Stachel- und Johannisbeeren zu erreichen, überzieht man Perlen mit Gaze und reiht sie dann nach der Natur an überwickelten Draht. Die Hernhuterinnen sind äußerst geschickt in dieser niedlichen Arbeit, der sie gern Bändchenstickerei hinzufügen. Nicht minder excelliren sie in der Landschaftsstickerei nach freien Zeichnungen mit Chenille und Plattseide auf Atlas- und gros-de-Naples-Grund. Besonders schön sehen Sepiafarben auf rosa Atlas aus. Während dieser sämmtlichen Abschweifungen, zu denen auch noch das Sticken mit Federn gehört, was wenig allgemein ward, behielt doch der petit point, oder auch der Kreuzstich, die Gunst der Mehrzahl, die nichts von Malerei versteht, was bei sämmtlichen, kunstreichern, freien Stickereien durchaus nöthig ist. Dennoch waltete die Mode, welche dem gros pomt den petit point substituirt hatte, und dann die Sache wieder umkehrte, fort, und wechselte, da weiter nichts zu wechseln war, die Muster. Da gab es erst Blumen, Früchte, Thiere, Muscheln, Arabesken, Steine etc.[416] die man durchgängig stickte; dann kamen Winterlandschaften, Madonnen und als man die erste Scheu vor dem menschlichen Angesicht überwunden hatte, die Griechen und Türken an die Reihe. Dem Orient folgten die polnischen Sensenmänner, die calabresischen Banditen, die spielenden Kinder und jetzt die Gruppen aus dem Mittelalter. Gold, Silber und Stahlperlen werden, um die Sache recht glänzend zu machen, hinein genäht und Chenille, um Sammetgewänder zu bezeichnen, im Kreuzstich verwandt. Seide fügte man der Wolle zum Höhen der Lichter schon lange bei, und wo man Arabesken stickt, heftet man wohl gar durchbohrte Steinchen auf, damit es nur recht flimmert und schimmert. Die eigentliche Perlenstickerei ist denselben Gesetzen wie die in Canevas oder Stramin unterworfen, doch führt man sie auch auf Tüllgrund aus, wo man sich sehr in Acht nehmen muß, daß die Zeichnung nicht schief läuft. Von der Gold- und Silberstickerei ist bereits gesprochen worden (s. d.); der Weißstickerei gedenken wir noch einen ausführlicheren Artikel besonders zu widmen, wobei zugleich vom Tambouriren und Sticken mit Bärtchen die Rede sein soll. Eine ähnliche hübsche Neuerung ist das Sticken von Arabesken in-fortlaufenden Gängen vermittelst des Tambourinstichs in freier Hand mit der Nadel. Daß mit gespaltenem, in Branntwein aufgeweichtem Gewürz, mit Melonenkernen und ähnlichen Dingen kleine Stickereien, die allemal mit Gold vermischt werden, gemacht worden sind, ist bekannt, so wie das hübsche Aufnehmen des zerschnittenen Gold- und Silberbouillons, nach den Regeln der französischen Weißstickerei. Von praktischem Nutzen endlich und entschiedener Wichtigkeit für Mädchen, die sich künstlichen Stickereien zu unterziehen gedenken, ist das zeitige Erlernen der Roth- oder Buchstabenstickerei. Die Feinheit und Sauberkeit, welche dabei unerläßlich angeeignet werden muß, ist eine treffliche Vorschule zu spätern componirtern Arbeiten. Der leichte Schwung der französischen Schrift gewöhnt das Auge an sanfte Biegungen und das strenge Geradestechen der gothischen Buchstaben[417] verlangt eine Accuratesse, die bei der Weißstickerei sehr zu statten kommt. Ueber Haarstickerei s. Haarmalerei.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 412-418.
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