Projection

[143] Projection (projicere, hinauswerfen, hinausverlegen) der Empfindung: »Hinausverlegen« des Empfindungsinhaltes (des Tast- und Gesichtssinnes) nach außen, in den Raum, Körper, als Qualität eines solchen. Die Projection besteht psychisch in einer eigenartigen Association der Empfindungsinhalte des Gesichtsinnes mit denen des Tastsinnes, im Allgemeinen in dem Vorgang der Synthese (s. d.) von Empfindungsinhalten zu einer räumlichen, zu einer Körpervorstellung, nicht in einer wirklichen Hinausverlegung eines innerlichen, subjectiven Zustandes in einen objectiven, außerhalb des Bewußtseins und des Psychischen gelegenen, transcendenten Raum. Die Projection ist von der Localisation (s. d.) zu unterscheiden.

Über das »Aufrechtsehen«, welches bald physikalisch, bald physiologisch, bald psychologisch erklärt wird (Projicierung der Eindrücke in der Richtung der sie erzeugenden Strahlen nach außen, Umkehrung des Bildes, Berichtigung durch den Tastsinn, Orientierung durch Muskel- oder Bewegungsempfindungen u. dgl.) vgl. TELESIUS (De nat. rer. VII, p. 297 f.), DESCARTES (Dioptr. VI, 10), CONDILLAC (Trait. d. sensat. III, 3, § 15 f.), BERKELEY (Theory of vision 93ff.), PRIESTLEY, REID, PLATNER (Neue Anthropol. § 385), GASSENDI, NEWTON, HARTLEY, J. MÜLLER (Zur vgl. Psychol. 671), FRIES (Anthropol. § 40), E. REINHOLD (Psychol. § 122), TORTUAL, LOTZE (Med. Psychol. § 316 ff.), RAIN, LEWES, VOLKMANN, DROBISCH (Empir. Psychol. § 47), ULRICI (Leib und Seele S. 178), J. E. FICHTE (Psychol. I, 352), SCHOPENHAUER (Üb. d. Sehen), WUNDT (Grdz. d. physiol. Psychol. I4), HELLPACH (Grenzwiss. d. Psychol. S. 148) u. a.

Nach HOBBES beruht die Projection auf der Hinausverlegung der Empfindung in die Richtung, von welcher der Reiz das Bewußtsein zur Reaction gegen dasselbe veranlaßt (De corp. C. 25, 2. De hom. XI, 1. Leviath. 1. vgl. Empfindung: PROTAGORAS). SPINOZA bemerkt: »Si humanum corpus affectum est modo, qui naturam corporis alicuius externi involvit, mens humana idem corpus exernum ut actu existens, vel ut sibi praesens contemplabitur, donec corpus afficiatur affectu, qui eiusdem corporis existentiam vel praesentiam secludat« (Eth. II, prop. XVII – XVIII). CONDILLAC beantwortet die Frage: »Comment le sentiment peut-il s'étendre au delà de l'organe qui l'éprouve et qui le limite?« so: »Mais en considérant les propriétés du toucher, on eût reconnu qu'il est capable de découvrir et d'apprendre aux. autres sens a rapporter leurs sensations aux corps qui y sont répandus« (Trait. de sensat. I, ch. 11, § l. Il, ch. 7, § 16. IV, ch. 8, § 2). Nach REID fügt das Bewußtsein zu jeder Empfindung die Vorstellung der Lage hinzu (Inquir. VI, 8). Das »Gesetz der exzentrischen Empfindung« formuliert zuerst TETENS: »Wir setzen eine jede Empfindung sie das Ding hin, in dessen gleichzeitigen Empfindungen sie wie ein Teil in einem Ganzen enthalten ist. Kurz, jede Empfindung wird dahin gesetzt, wo wir sie empfinden« (Philos. Vers. I, 416). – ESCHENMAYER meint: »Jeder physische Eindruck, der eine bestimmte Sinnesart afficiert, erscheint als eine[143] specifische Fraction, die sich nie zur Einheit erheben kann. Die Seele muß daher den Bruch als verschieden von der Einheit, d.h. außer dem Gemeinsinn befindlich, wahrnehmen und mithin den Ort seines Eindrucks außerhalb des Gehirns, wie das Farbenspiel jenseits des Prisma, setzen« (Psychol. S. 38 f.). SCHOPENHAUER erklärt die Projection durch unbewußte Schlüsse (s. Object), ähnlich HELMHOLTZ (s. Inductionsschluß). in anderer Weise wird sie erklärt von HEGEL, J. MÜLLER (Lehrb. d. Physiol. II, 268), 13. U. WEBER (Wagners Handwörterb. III 2, 482), FORTLAGE (Psychol. II, 337), LOTZE (Med. Psychol. 13. 368), HAGEMANN (Psychol. S. 50), A. LANGE, E. v. HARTMANN (Philos. d. Unbew.3, S. 270), VOLKMANN (Lehrb. d. Psychol. II4, 125), A. MAYER (Monist. Erk. S. 31 f.) u. a. CZOLBE spricht von der Projection des »Bewußtseinsraumes« und von der »exzentrischen Erscheinung« (Gr. u. Urspr. d. menschl. Erk. S. 219). Nach LAZARUS findet die Projection unter Anleitung des Muskelgefühles statt (Leb. d. Seele II2, 116). SERGI erklärt sie durch Annahme eines »recurierenden Nervenstroms« (Psychol.). – ÜBERWEG betont: »Eine eigentliche Projection nach außen hin... ist nicht denkbar«. »Die Empfindung ist ja nicht ein Ding, welches hinausgeworfen wird und jenseits des Organismus bestehen könnte« (Welt- u. Lebensansch. S. 322). Die Projection im eigentlichen Sinne des Wortes leugnet C. STUMPF (Entsteh. d. Raumvorst. S. 190). RIEHL erklärt: »Unsere Gesichtstwahrnehmungen sind einfach da, wo sie erscheinen« (Philos. Krit. II 2, 56). Die sog. Projection der Bilder ist nichts als »die Association derselben mit gleichzeitigen Empfindungen des Tastsinnes« (l. c. S. 58). Ähnlich JODL (Lehrb. d. Psychol. S. 553), welcher bemerkt: »Jeder sichtbare leuchtende Punkt der Außenwelt hat seinen entsprechenden Bildpunkt auf der Netzhaut, und dieser wird auf seinen entsprechenden leuchtenden Punkt zurückbezogen« (Lehrb. d. Psychol. S. 325). Externalisation ist »jener Vorgang, durch welchen ein Empfindungsphänomen an irgend einen Punkt des den Leib umgebenden Raumes verlegt wird« (l. c. S. 553). SCHUPPE betont: »Der Raum, welchen die Empfindungsinhalte erfüllen, kann nicht als außerseelische Wirklichkeit an sich existieren. wie sollte es die Seele machen, im Acte der Projection ihre Empfindungen aus sich heraus in ihn hinein zu befördern« (Log. S. 13 ff.). Auch R. WAHLE bestreitet die Projection als Act. »Es existiert einfach, im Anschlusse an die Leibesflächen, eine Flächenwelt« (Das Ganze d. Philos. S. 266 f.). Die Extensität ist eine ursprüngliche Eigenschaft der Vorstellungen (l. c. S. 209 ff.). W. JAMES leugnet gleichfalls die »excentric projection« (Princ. of Psychol. II, 31 ff., 42. vgl. LADD, Phys. Psychol. p. 385, 387 u. a. englische u. französ. Psychologen). Auch die Gefühle deuten auf einen Gegenstand als Uresche des gegebenen Bewußtseinszustandes (Wille zum Glaub. S. 90). – Nach ZIEHEN ist excentrische Projection »die Tatsache, daß, wenn ein Reiz nicht auf Nervenendigungen wirkt, sondern auf den Nervenstamm, die ausgelöste Empfindung regelmäßig in die peripheren Ausbreitungen des Nerven verlegt wird« (Leitfad. d. physiol. Psychol.2, S. 56). Vgl. SIGWART, Log. II2, 71. J. SOCOLIU, Grundprobl. d. Philos. S. 183 ff. Vgl. Object, Wahrnehmung.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 143-144.
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