Subjectiv

[445] Subjectiv (subiectivus): das Subject constituierend, dem Subjecte (s. d.) zukommend, zum Subject und dessen Natur gehörig, im Subject existierend, im Subject begründet, aus dem Subject stammend, entspringend, vom Subject abhängig, (nur) in Beziehung auf das Subject. Je nach der Bedeutung, in der man das Subject nimmt, variiert die Bedeutung von »subjectiv«. Subjectiv heißt demnach: 1) im scholastischen Sinne: wirklich, gegenständlich (s. Subject). 2) im neueren Sinne: nicht im An-sich-, sondern im Für-ein-Subject-sein. a. subjectiv-allgemein: in Beziehung auf das Bewußtsein (s. d.) schlechthin, immanent, nicht-transcendent (s. d.) (z.B. der objective Raum). b. innerhalb des Bewußtseins subjectiv-individuell, d.h. vom individuellen Ich abhängig (z.B. die Sinnesqualitäten). c. nicht zum Vorstellungsinhalt, sondern zu den Subjectmodis: Gefühl, Willen gehörig, das Ich constituierend. d. nicht objectiv-unbefangen, den Gesetzen des Denkens und der Erfahrungsobjecte gemäß gedacht, sondern vorurteilsvoll, phantasiemäßig, unter dem Einfluß der Leidenschaft, des Interesses u.s.w. beurteilt. Der subjective Charakter des Erkennens und des Erkennenden ist deren Subjectivität. Als Bewußtseinsact, als Ich-Tätigkeit ist alles Erkennen (s. d.) subjectiv. gleichwohl hat es einen objectiven, vom Subjecte und dessen Selbstaffectionen verschiedenen Inhalt und Gegenstand, es ist ein auf Objectives »gerichtetes«, Objecte (s. d.) vorstellend-denkend setzendes, gesetzlich bestimmtes Subject-Tun. – Das von der Beschaffenheit der Sinneswerkzeuge Abhängig ist das psychophysisch Subjective, Gefühle und Strebungen sind das psychologisch Subjective, Bewußtseinsinhalte als solche überhaupt das erkenntnistheoretisch Subjective.

Über die Subjectivität der Qualitäten, von Raum, Zeit, Kategorien, Causalität, [445] Substanz, Ding, Außenwelt, Materie, Bewegung, Zweck s. diese Termini. Über »subjectiv« Im allgemeinen vgl. Subject.

Nach KANT ist zwischen der Subjectivität der Sinnesqualitäten und der der Anschauungs- und Denkformen (s. d.) wohl zu unterscheiden. Bloß subjectiv an der Vorstellung eines Objects ist das, was ihre Beziehung auf das Subject ausmacht, die ästhetische Beschaffenheit. Dasjenige Subjective, was nicht Erkenntnisbestandteil werden kann, ist Lust und Unlust (Krit. d. Urt., Einleit. VII). – V. COUSIN betont: »L'absolu apparaît à ma conscience, mais il lui apparaît indépendant de la conscience et du moi. Un principe ne perd pas son autorité parce qu'il apparaît dans un sujet. de ce qu'il tombe dans la conscience d'un être déterminé, il ne s'ensuit pas qu'il devienne relatif à cet être« (vgl. Adam, Philos. en France, p. 216). – SCHOPENHAUER versteht unter dem »Subjectiven« auch das Selbstsein der Dinge, das Sein der Dinge nicht bloß als Objecte (s. d.) eines Subjects. Das »subjective Wesen« eines Dinges ist das Ding an sich, als solches aber kein Gegenstand der Erkenntnis. »Denn einem solchen ist es wesentlich, immer in einem erkennenden Bewußtsein, als dessen Vorstellung, vorhanden zu sein, und was daselbst sich darstellt, ist eben das objective Wesen des Dinges« (Parerg. II, § 65).

LOTZE bemerkt: »Die subjective Natur alles unseres Vorstellens entscheidet... nichts über Dasein oder Nichtdasein der Welt, die es abzubilden glaubt« (Mikrok. III2, 231). Unser Vorstellen entspringt aus der Wechselwirkung mit einer von uns unabhängigen Welt (ib.). – Nach STEUDEL: ist Subjectivität »lebendige, gegenüber von einem Kreis von Objecten receptive Centralität« (Philos. I 2, 8). Nach LAZARUS ist sie die (erworbene) »Fähigkeit, sich als Subject, d.h. so zu verhalten, daß der Geist sich selbst als den Betrachtenden von dem betrachteten Gegenstande absondert und letzteren sich frei, mit Bewußtsein gegenüberstellt« (Leb. d. Seele I2, 349). Nach LIPPS ist rein subjectiv nur Gefühl und Strebung (Gr. d. Seelenleb. S. 26). Ähnlich RIEHL (Philos. Krit. II 1, 63), WUNDT (s. Bewußtseinselemente). Nach H. COHEN ist die Sinnlichkeit ein Teil unserer Subjectivität. »Wenn nun Raum und Zeit Bedingungen unserer Subjectivität sind, so sind alle Dinge, sofern wir sie in Raum und Zeit befassen, in unsere Subjectivität einbezogen« (Kants Theor. d. Erf. S. 170). Nach FERRIER ist das Selbst »an integral and essential part of every object of cognition« (Inst. of met., prop. II). Der objective Teil ist vom subjectiven nicht trennbar (l. c. prop. III). Es gibt keine »qualities of matter by themselves« (l. c. p. V). P. CARUS betont: »Alle transcendentalen Gesetze sind weder subjectiv noch objectiv, d.h. weder dem Subject an sich noch dem Object an sich zugehörig, sondern gehören der Natur, der objectiven Welt an, welche als eine Relation zwischen Subject und Object erkannt wird.« »Sie sind insofern subjectiv und objectiv zugleich« (Met. S. 19). JANET unterscheidet physiologische und psychologische Subjectivität (Princ. de mét. II, 153 ff.). HÖFFDING erklärt: »In jedem Erkenntnisacte läßt sich zwischen einem subjectiven und einem objectiven Elemente unterscheiden, zwischen dem Erkennenden und dem Erkannten – beide Elemente sind aber nur in gegenseitiger Beziehung gegeben, wenngleich sie sich innerhalb dieser Beziehung in verschiedenem Grade geltend machen können« (Philos. Probl. S. 58 f.). »Wenn wir in unserer Erkenntnis zwischen Subject und Object unterscheiden, so stellen wir eigentlich ein objectiv bestimmtes Subject (So) als Gegenteil eines subjectiv bestimmten Objectes (Os) auf. Die Eigenschaften oder 'Formen', die wir dem Subjecte beilegen, lassen sich nicht aus dem Begriffe des Subjectes selbst (des[446] reinen S) erklären. sie sind da als Tatsachen ebensowohl als alle anderen Eigenschaften, mit denen unsere Erkenntnis zu tun bekommt. Ebenso gehören die Eigenschaften oder Bestimmungen, die wir dem Objecte beilegen, diesem stets nur in Beziehung auf ein Subject, und zwar, näher betrachtet, auf ein Subject gewisser specieller Beschaffenheit« (l. c. S. 61). Das »Ding an sich« drückt die Tatsache aus, »daß der Unterschied zwischen Subject und Object stets aufs neue in Kraft tritt, wie oft wir auch eine objective Erklärung der Eigentümlichkeiten des Subjects (des S1 durch O1) und eine subjective Erklärung der Eigentümlichkeiten des Objectes (des O1 durch S2) gefunden haben möchten. Das Irrationale zeigt sich darin, daß eine fortwährende Reihenbildung (des Typus: S1 [O1 [S2 [O2...) möglich und notwendig ist. Das Denken muß stets wieder von neuem in Gang gesetzt werden, um für die Bestimmung des Daseins Prädicate zu finden, weil die Quelle, die den Gedanken ermöglicht, unerschöpflich ist. Das 'Ding an sich' ist die dunkle, hinzugedachte Anfangsvorstellung, die immer wieder auf neue Weise auftritt und neue Bestimmungen erheischt« (l. c. S. 61 f.). Vgl. Subject, Object, Objectiv, Qualitäten, Relativismus, Anschauungsformen, Raum, Zeit, Erscheinung.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 445-447.
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