Färben [1]

[569] Färben, in der Textilindustrie die Hervorbringung dauerhafter und einheitlicher Färbungen in der Masse der animalischen und vegetabilischen Gespinstfasern durch physikalische und chemische Vorgänge, bei denen die Farbstoffe oder die die Färbung zufolge chemischer Umsetzung herbeiführenden Substanzen in gelöster Form das zu färbende Material durchdringen.

Die Bedingungen, unter denen sich eine Färbung vollzieht, sind ebensowohl durch die Struktur der Faser wie durch diejenige des Farbstoffes bestimmt. Weder färbt jeder Farbstoff jede Faser, noch werden die verschiedenen Fasern durch denselben Farbstoff unter den gleichen Umständen angefärbt. Eine Reihe von Farbstoffen färben die animalische Faser direkt, sind nach einer Bezeichnung Bancrofts ihr gegenüber substantive Farbstoffe. Viele aber, bei denen der basische bezw. saure Charakter nicht so scharf ausgeprägt ist, bedürfen einer Beize (s. Beizen), um von der Faser aufgenommen und dauernd festgehalten zu werden; sie verhalten sich zu letzterer als adjektive Farbstoffe. Dazu gehören namentlich die phenolartigen und insbesondere die als salzbildende Gruppen zwei Hydroxyle, oder ein Hydroxyl und eine Carboxylgruppe, oder ein Sauerstoffatom und eine Isonitrosogruppe in benachbarter Stellung im Molekül enthaltenden Beizenfarbstoffe, wie Alizarin und seine Verwandten, Galloflavin, Gallocyanin, Diamantschwarz, Solidgrün (Dinitrosoresorcin), die natürlichen Farbstoffe der Cochenille, der Farbhölzer (s.d.), des Quercitrons, der Kreuzbeeren.

Der Grund, der diese Farbstoffe verhindert, die animalische Faser substantiv zu färben, ist ein doppelter. Einerseits besitzen sie, obgleich sie von der Faser aufgenommen werden, auf dieser nur ihre relativ schwache Eigenfarbe, anderseits entwickelt sich ihre Farbstoffnatur, werden sie zu Farben im Sinne v. Pergers [1] erst in den unlöslichen Verbindungen, den intensivfarbigen Lacken (s. Farblacke), die sie mit Metalloxyden bilden. Die Baumwollfaser wird in den seltensten Fälle substantiv angefärbt. Dies gilt nur vom Canarin, einem Oxydationsprodukt[569] der Rhodanwasserstoffsäure, von der als direkte Baumwollfarbstoffe bekannten Gruppe von Azofarbstoffen, vom Primulin und seinen Verwandten, von den Schwefelfarbstoffen und einigen natürlichen Farbstoffen, wie denjenigen der Curcuma, des Safflor, des Orlean, des Katechu und von gewissen Gerbstoffen. Eine befriedigende Aufklärung über die Umstände, die gerade diesen Substanzen eine solche Ausnahmestellung verschaffen, hat man vielfach zu geben versucht, aber bisher noch nicht gefunden. Meist bedarf die Baumwolle- und auch die Flachsfaser einer Beize, um die Farbstoffe auf sich zu fixieren, der Metalloxyde für saure, der Gerbstoffe für basische Farbstoffe. Der Gehalt an einer gerbstoffartigen Substanz ermöglicht der Jutefaser die direkte Aufnahme basischer Farbstoffe, aber auch saure Farbstoffe können in dieser Weise auf ihr befestigt werden. Das Färben und Beizen wird entweder in der Weise bewerkstelligt, daß das zu färbende oder zu beizende Material in die kalte, warme oder kochende Lösung des Farbstoffes bezw. der Beize eingetaucht und darin entweder hin und her bewegt oder so lange liegen gelassen wird, bis die nötige Tiefe der Färbung, die beabsichtigte Aufnahme der Beize erfolgt ist; oder man läßt unter Anwendung mechanischer Färbeapparate die Farbstoff- oder Beizlösung das ruhende Material in einem Kreisprozeß durchdringen, bis dasselbe genügende Mengen Farbstoff oder Beize aufgenommen hat. Als Lösungsmittel dient das Wasser, sehr selten Alkohol und dieser dann nur als solches für den Farbstoff. Je nach der Natur der zu färbenden Faser und des zu verwendenden Farbstoffes benutzt man neutrale, alkalische oder saure Färbeflotten. Die animalischen Fasern werden in der Regel im neutralen oder sauren, Seide im Bastseifenbade oder im angesäuerten, sogenannten gebrochenen Bastseifenbade gefärbt. Die vegetabilischen Fasern werden meist im neutralen oder alkalischen, seltener im angesäuerten Bade gefärbt. Die Farbflotte hat zu Beginn des Färbens meist gewöhnliche Temperatur, die gegen Ende auf 50° C. oder bis zum Siedepunkt erhöht wird. Letzteres pflegt beim Wollfärben der Fall zu sein. Die Beizenfarbstoffe werden meist nach dem Zweibadverfahren gefärbt, nach dem das Material im ersten Bade gebeizt und die Farbe im zweiten, dem Färbebade, entwickelt wird. Das Verfahren des Ansiedens und Abdunkelns besteht im Kochen des Fasermaterials in der Lösung des Farbstoffes und der Entwicklung der Farbe durch späteres Zubringen des Beizmittels entweder im ersten oder in einem zweiten Bade. Bei dem Dreibadverfahren wird die Ware im ersten Bade gebeizt, im zweiten gefärbt und dann in diesem oder in einem dritten Bade nachgehetzt oder nachgedunkelt. In allen Fällen wird der Farblack, die Farbe, erst in der Faser hervorgebracht. Zuweilen kann dies auch in einem Bade geschehen (s. Einbadfärberei).

Das Wesen des Färbprozesses ist bis in die neueste Zeit Gegenstand lebhafter Diskussion gewesen. Teils wird der Vorgang beim Färben als ein mechanischer, teils als ein chemischer aufgefaßt.

Die mechanische Theorie, die ihre Hauptvertreter in Hellot, Le Pikeur d'Appligny, W. Crum, Persoz, Müller-Jacobs, Hwaß [2], v. Perger [3], Spohn[4] und v. Georgievics [5] besitzt, nimmt an, daß zufolge der Porosität oder Durchlässigkeit der Fasern die Farbstoffe und Beizmittel auf Grund der die endosmotischen und exosmotischen Vorgänge und Kapillaritätserscheinungen beherrschenden Kräfte in die Fasern eindringen können und in ihnen ferngehalten werden. Ihre Hauptstütze bildet gegenüber der chemischen Theorie der Umstand, daß die direkten Färbungen in ihrem Verhalten nicht den für chemische Verbindungen geltenden Gesetzen entsprechen, nach denen sich Körper nach bestimmten Gewichtsverhältnissen verbinden und die entstandenen chemischen Verbindungen andre Eigenschaften zeigen müssen als die Komponenten, aus denen sie entstanden sind, und daß das Zustandekommen substantiver Färbungen durch ein Verteilungsgesetz geregelt wird, welches das Verhältnis zwischen den Farbstoffmengen bestimmt, die sich in gleichen Gewichtsteilen der Faser und der Flotte nach dem Färben befinden. Auch die leichte Entfernung gewisser Farbstoffe von der Faser durch Erhitzen (Anilingelb, Naphtholgelb), das große Egalisierungsvermögen mancher Farbstoffe, die Juxtaposition eines Farbstoffes über dem andern beim Ueberfärben einer bereits gefärbten Faser, die Tatsache, daß die Gespinstfasern aus sehr verdünnten Farbstofflösungen verhältnismäßig mehr Farbstoff aufnehmen als aus konzentrierteren und daß diese geringeren Farbstoffmengen weit energischer als größere Mengen festgehalten werden, und manches andre läßt sich mit der chemischen Theorie nicht in Einklang bringen.

Die chemische Theorie, die von Bergmann, Chevreul, Dufax, Kuhlmann, Hummel, Noelting, Erdmann, Knecht [6], Vignon [7], Binz und Schröter [8] vertreten wird und die in der Färbung eine chemische Verbindung zwischer Faser (oder einem beim Färben sich bildenden Zersetzungsprodukt derselben) und Farbstoff bezw. Beize (und Farbstoff) fleht, stützt sich namentlich auf die Tatsache, daß Wolle und Seide deutlich basische und saure Eigenschaften besitzen, anderseits jeder Farbstoff entweder saure oder basische Eigenschaften hat und damit die Möglichkeit einer in der Färbung zum Ausdruck gelangenden chemischen Verbindung gegeben ist. Demgegenüber wird mit Recht hervorgehoben, daß viele als physikalische Vorgänge aufgefaßte Erscheinungen, wie Adhäsions-, Kapillaritäts- und Benetzungserscheinungen, bekannt sind, bei denen der chemische Charakter der mitwirkenden Substanzen einen entschiedenen Einfluß besitzt.

Auch die Theorie von Witt [9], der den Prozeß des Färbens als eine Lösungserscheinung, die Färbung als eine starre Lösung definiert, ist aus mehreren Gründen nicht stichhaltig; insbesondere widerspricht ihr die Tatsache, daß die meisten substantiven Farbstoffe von der Wollfaser bei Siedetemperatur der Flotte am besten, in der Kälte sehr wenig aufgenommen werden. Im Sinne der Lösungstheorie müßte daher die Wolle in der Hitze ein weit größeres Lösungsvermögen für Farbstoffe haben als Wasser von gleicher Temperatur, umgekehrt in der Kälte demnach Wasser ein größeres Lösungsvermögen haben als die Wolle. Eine Wollfärbung müßte daher beim Waschen mit kaltem Wasser mehr Farbstoff verlieren als durch siedendes Wasser, während gerade das Umgekehrte zutrifft. Das von Hwaß [2] untersuchte[570] Verhalten der Gespinstfasern beim Beizen spricht dafür, auch die Beizprozesse, so sehr sie durch die chemische Natur der Beizmittel bedingt sind, als physikalische Erscheinungen zu betrachten.

Unsre gegenwärtige Kenntnis des Färbevorgangs berechtigt uns zu der Annahme, daß dieser im wesentlichen durch physikalische Kräfte geregelt wird und sich nach physikalischen Gesetzen vollzieht [10], wobei die Möglichkeit einer teilweisen chemischen Bindung zwischen Faser und Farbstoff nicht ausgeschlossen ist. Die Adhäsions-, Absorptions- und Adsorptionsprozesse, wie sie sich bei der Färbung und Beizung der Gespinstfasern abspielen, erscheinen gewissermaßen als Uebergänge mechanischer zu chemischen Vorgängen.


Literatur: Hummel-Knecht, Färberei und Bleicherei der Gespinstfasern, 2. deutsche Aufl., Berlin 1891; Knecht, Rawson und Löwenthal, Handbuch der Färberei der Spinnfasern, Berlin 1900/01; Ganswindt, Theorie und Praxis der modernen Färberei, Leipzig 1903. – [1] v. Perger, Mitteilungen des Technologischen Gewerbemuseum's in Wien, Neue Folge II, Jahrg. 1892, 301. – [2] Hwaß, Lehnes Färberztg. 189091, 221, 243. – [3] v. Perger, Lehnes Färberztg. 189091, 356, 371. – [4] Spohn, Dinglers Polyt. Journ. 1893, Bd. 257, 210. – [5] v. Georgievics, Mitteilungen des Technologischen Gewerbemuseums in Wien, Neue Folge IV, Jahrg. 1894, 205, 349; M. f. Ch. 1894, 711, Lehnes Färberztg. 1903, 214. – [6] Knecht, Berliner Berichte, 1888, 1556; 1902, 1023. – [7] Vignon, Compt. rend., 112, 623–624. – [8] Binz u. Schröter, Berliner Berichte 1902, 4225. – 19] Witt, Otto N., Lehnes Färberztg. 1890/91, 1. – [10] Biltz, Berliner Berichte, 1904, S. 1766; 1905, S. 2963, 2973.

R. Möhlau.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 569-571.
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