Schildpatt

[695] Schildpatt (Schildkrot), die technisch verwendbaren Schilder oder Panzerplatten mehrerer Seeschildkröten, insbesondere der echten Karettschildkröte, Chelone imbricata.

Diese bewohnt alle zwischen den Wendekreisen liegenden Meere, tritt aber in größerer Menge namentlich im Karaibischen Meere und in der Sulusee auf. Sie besitzt einen eiförmigen, schwach gewölbten Rückenpanzer bis zu 1 m Länge, mit kräftigen Schildern oder Hornplatten und einen fast flachen Bauchpanzer, dessen Schilder viel schwächer entwickelt sind. Die Verteilung der Rückenplatten ist folgende: Längs der Mittellinie liegen fünf Mittel- oder Wirbelplatten (meist scharf gekielt), zu beiden Seiten je vier Seiten- und im Umfange des Panzers 25 Randplatten (wegen ihrer dicken, klauenförmigen Gestalt »Klauen«, »Füße« oder »Nasen« genannt), von welchen die dem Kopf zunächst kommende die Nacken-, die entgegengesetzte die Schwanzplatte genannt wird. – Die Platten decken sich am (hinteren) Rande dachziegelartig. Die Platten des Bauchschildes liegen nur in zwei Reihen und werden nach der Körpergegend in Kehl-, Arm- oder Oberbrust-, Brust-, Bauch-, Unterbauch-, After- und Weichenplatten eingeteilt. Sowohl die Rücken- als auch die Randplatten der Bauchseite werden gegenwärtig in ausgedehnter Weise als ein edles Drechslermaterial verwendet. – Schildpatt ist fest, glatt, ausgezeichnet polierbar, sehr elastisch, in der Kälte etwas spröder als Horn, besitzt aber einen viel stärkeren Glanz und läßt sich so vollkommen zusammenschweißen (löten), daß beliebig große Stücke hergestellt, zerbrochene Gegenstände tadellos ausgebessert und selbst die Abfälle wieder verwertet werden können. Gleich dem Horn eine Epidermisbildung, ist es aus geschichteten Oberhautzellen zusammengesetzt, besitzt aber keine Markkanäle (s. Horn). Rücken- und Bauchschilder sind nicht nur durch die Stärke, sondern auch durch die Färbung verschieden. Erstere erscheinen gefleckt, d.h. auf düster grünlich- bis schwarzbraunem Grunde flammig gezeichnet, indem von einer Stelle, in der Regel vom hinteren Winkel des einzelnen Schildes aus, lichtere, durchsichtige, rosarötlich, ledergelb und ähnlich gefärbte Streifen auslaufen, welche unter Umständen sich so verbreitern können, daß die ursprünglich dunkle Färbung des Schildes als Zeichnung erscheint (Brehm). – Als besonders wertvoll gilt das schwarzgelb getigerte ostindische Schildpatt; diesem folgt oder ist gleichbewertet das chinesische, während das eigentümlich rotfleckig geflammte westindische und das rotbraunverschwommene, kleine lichte Flecken zeigende ägyptische Schildpatt im Werte stark zurückstehen. Gegenwärtig ist das blonde oder reine gelbe Schildpatt, aus den Rand- und Bauchplatten hergestellt, besonders beliebt. Auch die einzelnen Platten des Rückenschildes geben noch gewisse Wertabstufungen. Die zwei mittleren Seitenplatten jeder Seite überragen alle übrigen an Größe und Dicke und heißen die Hauptplatten; dann folgen in der Bewertung die beiden vorderen Seiten-, die beiden hinteren »Spitz«–, die vier gekielten Rückenplatten und die fünfeckige Kopfplatte. Auch die Platten der Riesenschildkröte und die der gemeinen Karettschildkröte dienen als Schildpatt; erstere sind einfarbig und werden meistens künstlich gefärbt. Echtes Schildpatt erkennt man mikroskopisch an den scharf konturierten kernhaltigen Hornzellen; vom Horn läßt es sich leicht durch das Fehlen der Markkanäle unterscheiden.

Behufs Gewinnung werden die Tiere entweder getötet oder in grausamer Weise in lebendem Zustande über Feuer aufgehängt und so lange gerottet, bis sich die Hornplatten leicht ablösen lassen. Die erste Zurichtung des Schildpattes erfordert ein Reinigen durch Schaben oder Abschleifen mit Glas- oder Sandpapier; damit die Platten ihre natürliche Krümmung oder Wölbung verlieren, werden sie in erwärmtem Zustande zwischen den ebenfalls erwärmten Metallbacken einer Schraubenpresse leicht gepreßt und in der Presse erkalten gelassen. Schildpatt erfährt eine umfangreiche Verwendung zu Dosen, Kämmen, Haarnadeln, Fächerblättern, Augengläserfassungen, Furnierblättern, Knöpfen und zahlreichen Galanterieartikeln.[695]

Ebenso umfangreich sind aber auch die Nachahmungen des Schildpattes. – Man benutzt hierzu Laternenhorn, Gelatine, entkalktes Elfenbein, Celluloid u.s.w. Dem Horn erteilt man durch Färbung mit einem Brei aus Kalk, Pottasche, Graphit und Kolkothar (Fe2O3) oder durch Verbrennen von Schwefelblumen, die man auf das Horn gestreut hat, das Aussehen von Schildpatt. Die an dem schwachen Glanz und plumpen Aussehen leicht erkennbare Nachahmung mit Gelatine geschieht folgendermaßen. Auf eine Glasplatte wird eine schwach gelbgefärbte, dicke, warme Gelatinelösung aufgegossen; auf deren halberstarrte Oberfläche träufelt man eine braungefärbte und eine lichte Gelatine, die sich ausbreitet und eine Zeichnung hervorruft, wie sie echtes Schildpatt besitzt. Nach dem Erstarren zieht man die durch doppeltchromsaures Kali lust- und wasserbeständiger gemachte Gelatine vom Glase ab.

T.F. Hanausek.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 695-696.
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