Cent [2]

[836] Cent (lat. centena), Hundertschaft, in urgermanischer Zeit eine Abteilung von 100 Heermännern, ein persönlicher Verband, hervorgegangen aus der taktischen Gliederung des Heeres, bald auch als Grundlage für die Regelung des Gerichtsdienstes verwendet; die C. wurde erst in fränkischer Zeit ein geographischer Begriff (Hundertschaftsbezirk); der Gau zerfiel in eine Anzahl solcher Bezirke; die Merowinger machten die Hundertschaften für jeden in ihrem Bezirk vorkommenden Diebstahl verantwortlich und schufen damit aus ihnen Polizei- und Haftungsbezirke. Vorstand der C. war der Centgraf oder Centenarius oder Humro; er war ursprünglich Volksbeamter und hatte neben der militärischen auch richterliche und polizeiliche Zuständigkeit; als jedoch unter den Karolingern eine strenge Einteilung der Grafschaften in kleinere Bezirke, sogen. Vikarien, durchgeführt wurde und die C. infolge dieser Neuorganisation in dem Begriff der Vikarie, der Centenarius in dem des Vikarius ausging, wurde der Centenar in die Stellung eines gräflichen Unterbeamten herabgedrückt; er war als solcher Hilfsorgan des Grafen bei der Aufbietung des Heeres, bei der Eintreibung der Abgaben und fungierte als Beisitzer im gräflichen Gericht; daneben stand ihm in kleinern Sachen, d. h. in den Fällen,[836] wo es sich nicht um Leben, Freiheit und Grundeigentum handelte, eine selbständige Gerichtsbarkeit zu; er war befugt, jeden Freien unter Androhung einer Buße für den Fall des Ausbleibens vor sein Gericht zu laden. Diese aus der Gaueinteilung hervorgegangene Gerichtsverfassung erhielt sich, wie die Gauverfassung selbst, während der ganzen karolingischen Zeit. Bald danach jedoch wurde sie erschüttert, als zunächst die Bischöfe für ihre bischöflichen Sitze und andre ihrer Kirche. gehörige Güter und nach und nach auch weltliche Fürsten ihre Besitzungen durch erlangte Immunität und Exemtion der Gerichtsbarkeit der Gaugrafen zu entziehen wußten, und mit der Entwickelung und völligen Ausbildung der Landeshoheit im 12. und 13. Jahrh. wurde ihr gänzlicher Verfall herbeigeführt. Der Ausdruck C. wurde jedoch als gleichbedeutend mit Gerichtsbarkeit überhaupt beibehalten, und namentlich bezeichnete man mit hoher C. (centena sublimis) den Blutbann, die eigentliche Kriminalgerichtsbarkeit. Auch legte man dem Ausdruck Centgericht oft noch eine engere Bedeutung bei und nannte diejenigen gutsherrlichen Gerichte so, welche die Kriminalgerichtsbarkeit selbständig, d. h. in völliger Unabhängigkeit von der landesherrlichen Gerichtsgewalt auszuüben hatten. Daher Centherr, der Besitzer eines Gutes, mit dem die Kriminaljurisdiktion verbunden war; centbar (auf Personen und Sachen bezogen), soviel wie einem bestimmten Kriminalgericht untergeben oder unterworfen, daher centbare Leute, centbare Grundstücke (Gegensatz: centfrei); Centdienste, Dienstleistungen, welche die centbaren Untertanen für das Centgericht zu verrichten hatten, z. B. Wachen u. dgl.; Centgetreide, eine Abgabe an Getreide, z. B. Hafer, Korn etc., welche die Centuntergebenen an den Centherrn oder Centrichter (Centgrafen, Centner [s. oben]) hier und da entrichten mußten; Centschöppen, die Beisitzer eines Centgerichts; Centfall, soviel wie Kriminalfall, Kriminalvergehen, Verbrechen; Centkosten, soviel wie Kriminalkosten, der Aufwand, den die Verwaltung der Centgerichtsbarkeit erforderte; Centpflicht, Centfolge, die Verbindlichkeit, der zufolge man sich vor einem bestimmten Gericht zu stellen hatte; auch heißt Centpflicht die Huldigung, welche die centbaren Untertanen dem Centherrn zu leisten hatten. Vgl. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 116ff.; Bd. 2, S. 146ff., 174ff. (Leipz. 1887).

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 836-837.
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