Geschlechtseigentümlichkeiten

[684] Geschlechtseigentümlichkeiten (Sexualcharaktere), die Kennzeichen, an denen man bei Tieren und Pflanzen getrennten Geschlechts das männliche und weibliche Individuum voneinander unterscheiden kann. Sie gehören nicht nur den Geschlechtswerkzeugen und ihren Hilfsapparaten an (primäre G.), sondern finden sich auch an andern Teilen des Körpers (sekundäre G.). So zeigen die Männchen besondere Hautanhänge (Hörner, Bärte etc.), lebhaftere Färbungen (z. B. bei vielen Vögeln und Insekten), stärker entwickelte Stimme (Gesang der männlichen Vögel); bei andern wieder kommen den Weibchen besondere Bildungen zu. Beim Menschen ist der Mann durchschnittlich größer, sein Körper erscheint wegen stärkerer Ausbildung des Skeletts und der Muskulatur gröber, eckiger, während beim Weib durch Entwickelung reichern Unterhautfettgewebes die Formen runder sind. Der Mann besitzt einen stärker entwickelten Gesichtsteil, besonders einen kräftigern Unterkiefer (vgl. Schädel), längere Gliedmaßen, der Brustkasten ist breiter und tiefer. Beim Weib ist der Rumpf relativ länger, durch die Entwickelung der Brüste ausgezeichnet, der Unterleib umfangreicher, die Hüften breiter. Das weibliche Becken ist weiter, aber niedriger, woraus eine größere Entfernung der Hüftpfannen und die eigentümliche Stellung der Oberschenkel nach innen, der Unterschenkel nach außen hin folgt (sogen. X-Beine). Daher ist der Gang des Weibes schwankender und der Stand, besonders wegen der Kleinheit der Füße, unsicherer. Das weibliche Individuum durchläuft seine Lebensstufen rascher als das männliche und wird darum auch in manchen Ländern gesetzlich früher mündig als das männliche. Kehlkopf, Luftröhre, Lungen, Herz und Blutgefäße sind wohl infolge energischerer Tätigkeit dieser Organe beim Manne geräumiger, dagegen scheint die Blutbildung beim Weibe rascher stattzufinden, so daß Blutverluste von ihm leichter ertragen werden. Nur selten besitzt das Weib einen Bart, dagegen sehr lange Kopfhaare. Das Nervensystem ist im allgemeinen beim weiblichen Geschlecht reizbarer, weshalb gewisse Nervenkrankheiten (Hysterie, Veitstanz und Katalepsie) bei ihm weit häufiger vorkommen. Auch psychische G. finden sich vor; beim Weibe behaupten Gefühl und Gemüt, beim Mann Intelligenz und Denken die Oberhand; die Phantasie des Weibes ist lebhafter als die des Mannes, erreicht aber selten die Höhe und Kühnheit wie bei letzterm etc. Val. Ellis, Man and woman (4. Aufl., Philad. 1904; deutsch von Kurella, Leipz. 1895) und [684] Studies in the psychology of sex (Philad. 1901; deutsch: Das Geschlechtsgefühl, Würzb. 1903); Weininger, Geschlecht und Charakter (2. Aufl., Wien 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 684-685.
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