Jugendwehren

[357] Jugendwehren, Versuche einer militärischen Ausbildung der Knaben und Jünglinge vor ihrem kriegsfähigen Alter, als deren Erfolge man sich verspricht: kriegerische Eigenschaften früher zu wecken, die Wehrfähigkeit zu einer wirklich allgemeinen zu machen und die volkswirtschaftlich unproduktivere Dienstzeit im stehenden Heer möglichst zu verkürzen. Wegen ihres besondern Wertes für Milizwehrverfassungen und wegen ihrer Unterstützung durch demokratische, auf allgemeine Volksbewaffnung gerichtete Tendenzen haben sie besonders in der Schweiz Eingang gefunden als sogen. Kadettenkorps, die nicht, wie unsre deutschen Kadettenanstalten, für die Ausbildung von Berufsoffizieren bestimmt sind. Doch finden sie sich auch dort nur in den größern Städten einiger deutschen Kantone, ohne gesetzlich in die Militärorganisation der Schweiz eingefügt zu sein, und ohne daß die neuern dortigen Verfügungen über die Vorbereitung des Wehrdienstes durch den Schulturnunterricht ihre allgemeinere Einführung erstrebten. Die infolge der Kriegserregung von 1859 auch in Süddeutschland, besonders in Württemberg, entstandenen J. haben sich gegenüber den ernstern Anforderungen der allgemeinen Wehrpflicht und der Einführung eines geregelten Schulturnunterrichts nicht viel über 1866 hinaus gehalten. Vgl. »Vier Preisschriften über die Vereinigung der militärischen Instruktion mit der Volkserziehung« (Bern 1863) und »Jugendwehr und Turnen«, herausgegeben vom Salzburger Turnverein (Salzb. 1876). Ähnliche, auf eine allgemeine militärische Jugenderziehung mit erheblicher Abkürzung der wirklichen Heeresdienstzeit gerichtete Pläne sind in Deutschland seit den Gneisenau-Scharnhorstschen Militärreformen der Befreiungskriege nicht selten infolge einzelner Kriege oder Kriegserwartungen aufgetaucht und werden neuerdings besonders von der sozialistischen Partei unterstützt, haben jedoch die pädagogisch wie militärisch gleich fest begründete Überzeugung nicht allgemein erschüttern können, daß der Jugenderziehung wohl die allgemein leibliche und geistige Vorbildung auch für den Wehrdienst zukomme, die besondern militärischen Eigenschaften und Fertigkeiten jedoch nirgends sicherer, rascher und billiger als in den geschlossenen militärischen Verbänden erworben werden. Von demselben Standpunkt aus sind auch die in einzelnen Städten aufgekommenen Exerzierschulen für Knaben zu beurteilen. Nach 1871 sind den J. ähnliche Einrichtungen, sogen. Schülerbataillone, in Paris und andern französischen Städten ins Leben gerufen worden, haben aber auch dort den großen auf sie gesetzten Hoffnungen nicht entsprochen. Die neuerdings in Berlin (1896) und andern Großstädten begründeten J. bezwecken mehr eine angemessene Beschäftigung der zwischen der Schul- und Wehrpflicht stehenden Jahrgänge in ihrer Freizeit. Vgl. Stürenburg, Wehrpflicht und Erziehung (Berl. 1879); »Wehrkraft durch Erziehung« (Jahrbuch, hrsg. von Schenckendorff und Lorenz, Leipz. 1904 f.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 357.
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