Gneisenau

[64] Gneisenau, August Wilhelm Anton, Graf Neidhardt von, preuß. Feldmarschall, geb. 27. Okt. 1760 zu Schildau in der Provinz Sachsen, gest. 23. Aug. 1831 in Posen, entstammt einer österreichischen Adelsfamilie, die neben dem Familiennamen Neithardt auch nach ihrem Schloß bei Eferding den Namen G. führte. Er folgte seinem Vater, sächsischem Artillerieleutnant, auf seinen Kriegszügen, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, bis ihn sein Großvater mütterlicherseits nach Würzburg nahm und in einer Jesuitenschule erziehen ließ, kam 1772 ins väterliche Haus nach Erfurt und bezog 1777 die dortige Universität. Wegen Geldmangels trat er 1779 bei den österreichischen Truppen in Erfurt in Dienst, ging nach einem Jahr in die ansbach-bayreuthische Armee über, wurde 1782 Leutnant und ging als solcher mit seinem Regiment nach Amerika, um für England gegen die abgefallenen Kolonien zu kämpfen. Obwohl schon 1783 nach Europa zurückgekehrt, ohne an Gefechten teilgenommen zu haben, hat G. bei dieser Reise viele Anregungen empfangen. Als Premierleutnant trat er Anfang 1786 in preußische Dienste, wurde 1786 zu einem Freiregiment nach Schlesien versetzt, kam 1787 nach Löwenberg in das Standquartier, wurde 1790 Stabskapitän und nahm von 1793–95 an der Okkupation Polens teil. Seit 1796 mit Karoline v. Kottwitz vermählt, stand G. als Hauptmann in Jauer, lernte die Schwächen des preußischen Heeres kennen und war auf eine Katastrophe gefaßt. An der Spitze seines Bataillons focht er 1806 bei Saalfeld und bei Jena, wurde bald Major und erhielt den Auftrag, in Litauen neue Reservebataillone zu formieren, folgte aber im April 1807 dem alten, schwachen Obersten v. Loucadou als Kommandant von Kolberg. Nachdem er diese hart bedrängte Festung, unterstützt von ihren Bürgern (s. Nettelbeck) und von Schill, mit wenigen Truppen gegen eine große Übermacht bis zum Tilsiter Frieden verteidigt hatte und dafür Oberstleutnant und Ritter des Ordens pour le mérite geworden war, wurde er Chef des Ingenieurkorps und Mitglied der Kommission zur Reorganisation des Heeres, als welches er, für die Wiedergeburt Preußens tätig, zu den eifrigsten Gehilfen Steins und Scharnhorsts gehörte. Nach Steins Entlassung aus Rücksicht auf Napoleon ebenfalls verabschiedet, erhielt G. den geheimen Auftrag, die Verhältnisse des Auslandes zu studieren, reiste 1811 nach Österreich, Rußland und England und entwarf die mannigfaltigsten Pläne, oft an der Möglichkeit verzweifelnd, den unentschlossenen König zum Befreiungskampf fortzureißen. Auf die Kunde von dem Ausgang des russischen Feldzugs zurückgekehrt, ward er 10. März 1813 Generalmajor und Generalstabschef des Blücherschen Korps und nach dem Waffenstillstand der schlesischen Armee. Im Befreiungskrieg hat er sich die größten Verdienste erworben, entwarf die genialsten und sorgfältigst berechneten Operationspläne und führte sie im Verein mit Blücher mit rücksichtsloser Energie durch. Der König dankte ihm nach der Schlacht bei Leipzig durch die Ernennung zum Generalleutnant, die Erhebung in den Grafenstand und nach dem ersten Pariser Frieden durch eine Dotation. 1815 wieder Blüchers Generalstabschef, ermöglichte er nach der Niederlage bei Ligny (16. Juni) durch seinen berühmten Befehl: »Der Rückzug geht nach Wavre!« den Marsch nach Waterloo, entschied durch das pünktliche Erscheinen der Preußen den Sieg der Verbündeten 18. Juni und leitete die Verfolgung mit solcher Schnelligkeit und Kraft, daß der Rückzug der Franzosen in wilde Flucht ausartete. Nach dem Friedensschluß zum General der Infanterie ernannt und mit dem Kommando des rheinischen Armeekorps betraut, nahm er 1816 seinen Abschied und zog sich nach seinem Schloß Erdmannsdorf am Riesengebirge zurück. Unterbrochen ward dieser Aufenthalt durch Berufung zu weitern Ämtern: er ward 1818 Gouverneur von Berlin und Mitglied des Staatsrats, 1825 Generalfeldmarschall und Präses der Militärexaminationskommission und 1831 beim Ausbruch des polnischen Aufstandes Oberbefehlshaber der vier östlichen zum Schutz der preußischen Grenze aufgestellten Armeekorps. Er starb aber in Posen an der Cholera und wurde in Sommerschenburg beigesetzt. G. war ein hervorragender Feldherr und Soldat, besaß aber auch vielseitige Geistesbildung, und seine staatsmännischen Gaben hätten ihn auch zu einer bedeutenden politischen Tätigkeit nach 1815 befähigt, wenn man in Preußen davon hätte Gebrauch machen wollen. Seine Erzstatue ist 1855 in Berlin am Opernplatz neben denen Blüchers und Yorcks aufgestellt worden; in Kolberg steht ein G.-Nettelbeck-Denkmal (von Georg Meyer) und 1904 wurde G. in seiner Geburtsstadt Schildau eins errichtet. Auch führt seit 1889 das 2. pommersche Grenadierregiment Nr. 9 seinen Namen. Sein Bildnis s. Tafel »Feldherren des Deutschen Befreiungskrieges I«. – Eine vortreffliche Lebensskizze Gneisenaus bis 1806 hat E. F. v. Fransecky[64] geschrieben (anonym, Beiheft zum »Militärwochenblatt«, 1856). Das große Werk von H. Pertz: »Das Leben des Feldmarschalls Neithardt v. G.« (fortgesetzt von Delbrück, Berl. 1864–80, 5 Bde.) enthält reiches Material, das Delbrück in einer Biographie (2. Aufl., das. 1894, 2 Bde.) verarbeitet hat. Vgl. auch Neff, Die Heldenlaufbahn des Generals der Infanterie August v. G. (Berl. 1889); Pick, Aus der Zeit der Not 1806 bis 1815. Schilderungen zur preußischen Geschichte aus dem brieflichen Nachlasse des Feldmarschalls Neithardt v. G. (das. 1900). – Von Augusts Söhnen führte der dritte, Bruno, Graf Neithardt von G., geb. 3. Mai 1811, gest. 2. Febr. 1889 in Naumburg, im deutsch-französischen Kriege die 31. Brigade des 8. Armeekorps. – Das Schiff G., eine von den nach dem Flottenplan von 1873 neuerbauten acht Korvetten, seit 1880 im Dienste stehend und seit 1892 als Schulschiff benutzt, ging 16. Dez. 1900 vormittags 11 Uhr auf der Reede von Malaga unter, wobei der Kommandant, Kapitän zur See Kretschmann, der erste Offizier, der leitende Ingenieur, ein Maschinist, ein Seekadett und 36 Unteroffiziere, Matrosen und Schiffsjungen in den Wellen umkamen. Gerettet wurden 426 Offiziere und Mannschaften; an Stelle der G. trat S. M. S. Stein.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 64-65.
Lizenz:
Faksimiles:
64 | 65
Kategorien: