Kaisersagen

[437] Kaisersagen, Volkssagen, die auf verschiedene Kaiser Bezug nehmen (vgl. Bergentrückung), sich[437] aber vornehmlich an die Persönlichkeit Friedrichs II. knüpfen. Die Kaisersage, deren Grundgedanke die Erinnerung eines goldenen Zeitalters durch einen mächtigen Monarchen ist, hat ihre Wurzeln in der schon in vorchristlicher Zeit wahrnehmbaren apokalyptischen Wertung des Weltimperiums. So wurde bereits das Weltimperium Alexanders d. Gr. von einzelnen jüdischen Kreisen in Beziehung gesetzt zu dem gewaltigen eschatologischen Bilde der Weltgeschichte, das Daniel entwirft. Bis in die byzantinische Zeit hinein galt seitdem der Mazedonier als der kommende oder wiederkommende große Kaiser der Endzeit. Dieser apokalyptische Charakter des griechischen Weltimperiums ging von diesem auf das römische über. Schon Augustus galt als der Erneuerer des goldenen Zeitalters. Eine vorchristliche jüdische Sibylle, die sich ursprünglich auf Alexander d. Gr. bezog, ward jetzt überarbeitet und in Beziehung gesetzt zu dem römischen und später (in immer neuen Überarbeitungen) zu dem römisch-deutschen Imperium. Eine solche Sibylle heftete sich mit besonderer Zähigkeit an die Persönlichkeit Friedrichs II., sowohl in Italien, wo die Joachimiten, die Anhänger Joachims von Floris (s. Ewiges Evangelium), in ihm den Hammer der Kirche erblickten, als auch in Deutschland, wo er als deren Reformator galt. Als Friedrich II., dessen Heerfahrt nach dem Heiligen Grab bereits mit orientalischen, später in die deutsche Kaisersage übergehenden Motiven aus den Sagen vom Perserkönig Johannes und vom dürren und wieder grünenden Baume geschmückt war, starb, ohne die Hoffnungen und Befürchtungen erfüllt zu haben, wollte man an seinen Tod nicht glauben. Sporadisch verbreitete sich das Gerücht, er sei in den Ätna gezogen. Dieses Gerücht vom Fortleben des Kaisers, das von den Joachimiten ausging, drang über die Alpen und fand in Deutschland Glauben. Jene somit auf die uralten Prophezeiungen der Sibylle zurückzuführende Vorstellung vom fortlebenden Kaiser assimilierte sich alsbald mythische Stoffe der deutschen Götter- und Heldensage. Mit dem Einzug des Kaisers in den Kyffhäuser (s. d.) ist die Entwickelung der Sage abgeschlossen. Das stetig wahrzunehmende Bestreben der Sage, alle fremden Stoffe zu nationalisieren, zeigt sich auch darin, daß, seit dem Volksbuche vom Jahre 1519 vom Kaiser Friedrich dem ersten des Namens, der dem deutschen Gemüt näherstehende Rotbart (s. Friedrich I., S. 115) an die Stelle des letzten Staufers trat. Diese Rotbartsage ist dann auch auf andre Kaiser und auf andre Örtlichkeiten, namentlich auf den Untersberg bei Salzburg, übertragen worden. Vgl. Häußner, Die deutsche Kaisersage (Programm, Bruchsal 1882); R. Schröder, Die deutsche Kaisersage (Heidelb. 1893); H. Grauert, Zur deutschen Kaisersage (im Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, Bd. 13, Münch. 1892); F. Kampers, Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage (das. 1896) und Alexander d. Gr. und die Idee des Weltimperiums (Freib. i. Br. 1901); Heidemann, Die deutsche Kaiseridee und Kaisersage im Mittelalter und die falschen Friedriche (Programm des Berliner Gymnasiums zum Grauen Kloster, Berl. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 437-438.
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