Kirchmann

[63] Kirchmann, Julius von, publizistischer und philosoph. Schriftsteller, geb. 5. Nov. 1802 in Schafstädt bei Merseburg, gest. 20. Okt. 1884, studierte die Rechte in Leipzig und Halle, wurde 1828 Gerichtsassessor in Naumburg, 1834 Kriminalrichter in Halle, 1835 Gerichtsdirektor in Querfurt und 1846 Erster Staatsanwalt bei dem Berliner Kriminalgericht. Seit 1848 fungierte er in gleicher Wirksamkeit bei dem Kammergericht zu Berlin und wurde zum Abgeordneten in die preußische Nationalversammlung gewählt. Er nahm seinen Sitz im linken Zentrum, wurde aber bald als Vizepräsident des Appellationsgerichts nach Ratibor versetzt, womit sein Mandat erlosch. Im September 1848 erschien er, nachdem er von neuem gewählt worden war, wieder in der Nationalversammlung. Wegen Ablehnung der Anklage gegen den Frankfurter Abgeordneten Grafen Reichenbach wurde er 1850 einem Disziplinarverfahren unterworfen; von 1856–63 beurlaubt, blieb er bis 1867 in seiner Stellung zu Ratibor. Ein Vortrag im Berliner Arbeiterverein über den Kommunismus in der Natur (3. Aufl., Leipz. 1882), worin er die Notwendigkeit der Bevölkerungseinschränkung betonte, gab die Veranlassung zu seiner disziplinarischen Amtsentsetzung ohne Pension. K. lebte seitdem in Berlin, teils philosophischen Studien sich widmend, teils politisch tätig als Abgeordneter zum preußischen Landtag und deutschen Reichstag. Als Schriftsteller zog er zuerst die Aufmerksamkeit auf sich durch das Pamphlet: »Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft« (1.–6. Aufl., Berl. 1848); philosophische Werke sind von ihm: »Philosophie des Wissens« (Berl. 1864, Bd. 1), eine anregende Schrift: »Über Unsterblichkeit« (das. 1865), und »Ästhetik auf realistischer Grundlage« (das. 1868, 2 Bde.). Er bekennt sich zu einem Realismus, der im Gegensatz zum Idealismus am Realen, im Gegensatz zum Materialismus am Idealen festhält. Das Sittliche gründet K. auf das Gefühl der Achtung vor einer erhabenen Autorität. Verdienste hat er sich erworben als Herausgeber der: »Philosophischen Bibliothek«, einer seit 1868 erschienenen Sammlung der Hauptwerke der Philosophen alter und neuer Zeit. In dieser hat er selbst Schriften von Aristoteles, Bacon, Grotius, Hume, Leibniz und Spinoza übersetzt und kommentiert. Auch übersetzte er Hobbes' »De cive« (Leipz. 1873). Von seinen kleinern Schriften ist noch zu erwähnen: »Die Lehre vom Wissen als Einleitung in das Studium der Philosophie« (4. Aufl., Heidelb. 1886) und der »Katechismus der Philosophie« (4. Aufl., Leipz. 1897).[63] Vgl. Lasson und Meineke, J. H. v. K. als Philosoph (Halle 1885).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 63-64.
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