Leukämīe

[479] Leukämīe (griech., Leuchämie, Leukocythämie, Weißblütigkeit), eine 1845 von Virchow entdeckte Krankheit, bei der die Zahl der farblosen Blutkörperchen beträchtlich vermehrt, die absolute Anzahl der roten Blutkörperchen fast stets vermindert ist. Enthält das normale Blut auf 350 rote 1 farbloses, so verändert sich dies Verhältnis in 50:1 bis 10:1, ja 3:1 bei der L. Die L. kann von einem Leiden der Milz, der Lymphdrüsen und des Knochenmarks herrühren, und man unterscheidet deshalb die liënale, die lymphatische und die myelogene L. Die Veränderungen, die bei der liënalen Form die Milz, bei der lymphatischen die Lymphdrüsen, bei der myelogenen das Knochenmark erleiden, bestehen vorzugsweise in einer Vergrößerung der genannten Organe, bez. in einer Vermehrung ihrer (normalen) zelligen Elemente, die in die Blutmasse übergeführt werden und hier als weiße Blutkörperchen erscheinen. Normalerweise bilden sich letztere zu roten Blutkörperchen um; bei der L. tritt aber eine solche Umwandlung nur in sehr beschränktem Grade ein. Genaueres über die Blutbeschaffenheit bei L. s. Text zur Tafel »Blut und Blutbewegung«. Die Ursachen der L. sind unbekannt. Man will zwar neuerdings einen die L. erregenden Parasiten (Protozoen in den weißen Blutkörperchen) gefunden haben; jedoch begegnet dieser Befund starken Zweifeln. Die L. ist selten, sie betrifft das männliche Geschlecht häufiger als das weibliche und kommt meist nur im mittlern Lebensalter vor. Die ersten Zeichen der L. sind gewöhnlich Anschwellung des Leibes und ein Gefühl von Druck und Vollsein in der Gegend der linken untern Rippen, als Folge der Vergrößerung der Milz. Die Milzschwellung entwickelt sich schmerzlos und unbemerkt oder in einzelnen Absätzen, während die Milzgegend schmerzhaft ist und die Kranken Fiebererscheinungen darbieten. In ähnlicher Weise pflegen bei der lymphatischen Form die Anschwellungen der Lymphdrüsen am Hals, in der Achselhöhle, in der Schenkelbeuge, die sich allmählich oder stoßweiße entwickeln, bei der myelogenen Form Erscheinungen schmerzhafter Knochenmarkentzündung zuerst auf das Übel aufmerksam zu machen. Je ärmer das Blut an roten, je reicher es an weißen Körperchen wird, um so mehr bekommt auch der Kranke ein bleiches und kachektisches Ansehen und um so mehr wird die Atmung erschwert, da ja die roten Blutkörperchen den Gasaustausch vermitteln. Manchmal bekommen die Kranken wiederholte Blutungen aus der Nase, dem Darmkanal oder in die Gewebe des Körpers. Dann sterben sie ziemlich schnell unter den Zeichen der Erschöpfung. In andern Fällen nimmt die Krankheit einen sehr langwierigen, selbst jahrelangen Verlauf. Gegen Ende des Lebens stellt sich häufig Wassersucht ein. Der Tod erfolgt durch allmähliche Erschöpfung. Selten ist die akute, in wenigen Wochen verlaufende Form der L. Das Blut von solchen, die an L. starben, sieht in hochgradigen Fällen weißlich oder hell graurot, zuweilen völlig eiterähnlich aus. Die Milz ist 6–10mal und noch größer als im normalen Zustand, wiegt 3–4 kg und darüber. Die Lymphdrüsen bilden bei der lymphatischen L. oft kolossale Geschwülste. Von den im Innern des Körpers gelegenen Drüsen findet man besonders die Gekrös- und Lendendrüsen, von den äußerlich gelegenen die Nacken-, Achsel- und Leistendrüsen geschwollen. Bei der myelogenen L. findet man das Mark der affizierten Knochen von himbeerroter, seltener grünlichgelber Farbe und von der Konsistenz eines zähen, schleimigen Eiters. Die L. galt bisher als unheilbar, wenn auch vorübergehende Besserungen von selbst oder bei Behandlung mit Arsenik, Chinin und Eisen vorkamen. Neuerdings hat man durch länger fortgesetzte Behandlung mit Röntgenstrahlen auffallende Besserungen bei vielen, wenn auch nicht bei allen behandelten Fällen beobachtet. Bestrahlung der Milz, der Leber, der Lymphdrüsen und der Knochen führt zu einer oft sehr starken Verringerung der weißen Blutzellen, meist unter wesentlicher Besserung der Blutarmut und des Ernährungszustandes, die Milzschwellung nimmt ganz oder teilweise ab, und in manchen Fällen schien eine fast völlige Gesundung erzielt zu sein. Ob es sich dabei um Dauererfolge handelt, ist freilich noch nicht sicher. Die mehrmals versuchte Entfernung der Milz hat stets den sofortigen Tod zur Folge gehabt. Vgl. Virchow, Gesammelte Abhandlungen (2. Aufl., Berl. 1862); Mosler, Die Pathologie und Therapie der L. (das. 1872); Englisch, Zur Lehre der medullaren L. (Wien 1877); Löwit, Die L. als Protozoeninfektion (Wiesbad. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 479.
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