Chinīn

[64] Chinīn C20H24N2O2 oder C19H20.OCH3.OH.N2, Alkaloid, findet sich in allen echten Chinarinden und in der China cuprea, der Rinde von Remijia pedunculata, stets begleitet von andern Alkaloiden, und wird dargestellt, indem man die gepulverten Rinden mit verdünnter Schwefelsäure wiederholt auskocht, die Flüssigkeit mit Natronlauge fällt, den Niederschlag in Weingeist löst, mit verdünnter Schwefelsäure neutralisiert, den Alkohol abdestilliert und das ausgeschiedene Chininsulfat wiederholt umkristallisiert. Aus der Lösung des schwefelsauren Chinins fällt Ammoniak reines C. Dies bildet farb- und geruchlose, mikroskopisch kleine Kristalle, mit 3 Molekülen Kristallwasser, kristallisiert aus Alkohol wasserfrei, schmeckt sehr bitter (noch in Lösungen von 1: 50,000), ist schwer löslich in Wasser, leicht löslich in Alkohol, Äther und Chloroform, dreht die Ebene des polarisierten Lichtes stark nach links, schmilzt bei 175°, ist nicht flüchtig und färbt sich, mit Chlorwasser, dann mit Ammoniak versetzt, smaragdgrün (Thalleiochin, Chiningrün). Beim Erhitzen mit schwefelsäurehaltigem Wasser auf 120° bildet es isomeres Chinicin. Bei Destillation des Chinins mit Ätzkali entsteht Chinolin, bei Oxydation gibt es Pyridindikarbonsäuren und Cinchomeronsäuren. C. reagiert alkalisch und bildet mit Säuren zwei Reihen meist gut kristallisierbare, farb- und geruchlose Salze, die intensiv bitter schmecken, und deren Lösungen stark blau fluoreszieren. Das gebräuchlichste Chininsalz ist das neutrale Sulfat (C20H24N2O2)2.H2SO4+8H2O (Chininum sulfuricum). Es bildet farb- und geruchlose, zarte, seidenglänzende Nadeln, verliert an der Luft 5 Moleküle Kristallwasser, wird bei 120° wasserfrei, schmilzt über 160° und entwickelt purpurrote Dämpfe. Es löst sich in 800 Teilen kaltem Wasser, in 25 Teilen kochendem Wasser und in 6 Teilen siedendem Weingeist, wenig in Äther. Aus der Lösung in schwefelsäurehaltigem Wasser kristallisiert das saure Sulfat C20H24N2O2.H2SO4+7H2O (Chininum bisulfuricum), das farblose Kristalle bildet, an der Luft verwittert und sich in 11 Teilen Wasser, schwerer in Alkohol löst. Mit Jod bildet das Sulfat Herapathit (C20H24N2O2)4(H2SO4)3.(HJ)2.J4+6H2O, blaß olivengrüne, im auffallenden Licht prächtig grün metallglänzende Kristalle, die das Licht fünfmal stärker polarisieren als Turmalin und zu Polarisationsapparaten dienen. Salzsaures C. (Chininum hydrochloratum) C20H24N2O2.HCl+2H2O bildet farblose, seidenglänzende Kristalle, löst sich in 34 Teilen Wasser und in 3 Teilen Alkohol, verliert an der Luft 1 Molekül Wasser; die Lösung fluoresziert nicht. Medizinisch werden auch benutzt gerbsaures, baldriansaures C., zitronensaures Eisenchinin, auch hat man im Speichel schwer lösliche Verbindungen hergestellt, die fast geschmacklos sind und daher namentlich für die Behandlung von Kindern großen Wert besitzen. Solche Verbindungen sind unter andern Euchinin (Chininäthylkarbonat), Salochinin (Salizylsäurechininester) und dessen salicylsaures Salz (Rheumatin), sowie das Aristochin (Dichininkohlensäureester). C. ist der wirksamste Stoff der Chinarinden. Geringe Dosen, in leicht löslicher Form gegeben, befördern, stärkere stören die Verdauung, reizen Nieren und Blase, erzeugen Ohrensausen, Schwerhörigkeit, Schwindel, einen rauschartigen Zustand (Chininrausch), Erbrechen, Abgeschlagenheit; sehr große Dosen erzeugen langsam vorübergehende Blindheit, 10–15 g töten durch Lähmung des Atmungszentrums und des Herzens. Bei kleinen Dosen steigt die Zahl der Pulse und der arterielle Druck, große Dosen wirken entgegengesetzt. C. ist ein sehr heftiges Gift für das Protoplasma vieler als Fermente auftretender mederer Organismen (es hindert Fäulnis und manche Gärungsprozesse), namentlich wirkt es sehr energisch auf den Erreger des Wechselfiebers und auf farblose Blutkörperchen, die noch durch sehr geringe Mengen von C. gelähmt werden. Auf manche unorganische Fermente (Ptyalin, Pepsin) ist es ohne Wirkung. C. setzt[64] die Zahl der weißen Blutkörperchen im Blut herab. Milzanschwellungen, die von Hyperplasie der Lymphfollikel und von dem hiermit gleichzeitig in diesem Organ gesteigerten Stoffwechsel abhängen, werden beseitigt. Auch in andern Organen wird die umsetzende Arbeit durch C. eingeschränkt, und hierauf beruht die Herabsetzung der Körpertemperatur, besonders bei Fieberzuständen. Auf die äußere Haut wirkt C. reizend, und in Chininfabriken leiden die Arbeiter oft an Ausschlägen, Anschwellung der Augenlider, Lippen etc. Der ungemein bittere Geschmack des Chinins (der am besten durch Chloroform verdeckt wird) erzeugt bisweilen Reflexerscheinungen. Manche Personen bekommen durch kleine Chinindosen nessel- oder scharlachähnliche Hautausschläge, bei andern tritt heftige Reizung der Nieren oder sogen. paradoxes Fieber ein, welche Erscheinungen beim Aussetzen des Chinins wieder verschwinden. Man benutzt C. gegen Wechselfieber, auch als vorbeugendes Mittel, zur Einschränkung beginnender Eiterungen, namentlich in der entzündlichen Leukocytose, zur Beseitigung gewisser Milztumoren, bei ansteckenden Katarrhen, wie Keuchhusten, auch bei solchen Entzündungen des äußern Auges, auf fauligen Wunden und Geschwüren, in kleinen Dosen bei Störung der Verdauung und bei Bleichsucht, hier als tonisches Mittel in Verbindung mit Eisen, dann gegen Neuralgien, besonders des Trigeminus, und als temperaturherabsetzendes Mittel bei Typhus, Lungenentzündung und andern schweren Fiebern. 1894 wurden 250,000 kg C. dargestellt, davon 75 Proz. in Deutschland, während hier nur 8 Proz. der Gesamtproduktion verbraucht wurden. Der Preis betrug 1822 für 1 kg 1370 Mk., 1879 noch 410 Mk., 1897 nur 20 Mk. 1902 betrug Deutschlands Ausfuhr 2322 dz. C. wurde 1820 von Pelletier und Caventou entdeckt. Vgl. die Schriften von Binz und Jerusalimsky, Über die physiologische Wirkung des Chinins (Leipz. 1875).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 64-65.
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