Schwindel

[215] Schwindel (Vertigo), eigentümliches Gefühl des gestörten Gleichgewichts, besteht in einer kreisförmigen oder pendelartigen Scheinbewegung, in einem scheinbaren Schwanken der Objekte, besonders des Fußbodens. Der Kranke verliert dabei das Bewußtsein des Gleichgewichts, das besonders zur Behauptung der aufrechten Stellung des Körpers notwendig ist. Der S. kommt vor in reiner Form oder mit andern Störungen der Gehirn- und Nerventätigkeit vermischt. Im erstern Fall, wie beim Besteigen hoher Türme, Berge etc., scheint es sich lediglich um eine Augentäuschung, um die mangelhafte Abschätzung der Distanzen einzelner Gegenstände zu handeln, bei welcher Täuschung die Beurteilung unsrer eignen Körperlage getrübt wird, oder um eine auf Ermüdung beruhende Schwäche der Augenmuskeln. Im andern Fall, z. B. bei wirbelndem Drehen des Körpers, beim Tanzen, Schaukeln, Seefahren und im Rausch, werden noch andre sensible oder Hemmungsnervenbahnen mit in die Erregung einbezogen, woraus Ohrensausen, Übelkeit, Erbrechen. verlangsamte Herztätigkeit, Ohnmacht und ähnliche Zufälle hervorgehen. Auch bei organischen Gehirnerkrankungen (z. B. Geschwülsten) und bei gesteigertem Gehirndruck, bei bestimmten Erkrankungen des Mittelohres, bei Schwellungszuständen der Nasenmuscheln, bei Magenerkrankungen, Vergiftungen (Nikotin, Alkohol etc.), bei länger dauernden oder heftigen Erschütterungen des Körpers kommt S. vor. Vgl. Drehschwindel und Hitzig, Der S. (in Nothnagels »Pathologie und Therapie«, Wien 1898).

S. kommt auch bei Tieren, namentlich bei Pferden und Hunden, vor und hat die verschiedensten Ursachen. Manche Pferde erleiden häufig Anfälle von S., die dann meist in organischen Fehlern, in Gehirnstörungen, Herzfehlern (Unregelmäßigkeiten der Blutversorgung des Gehirns) begründet sind und namentlich bei Bewegung (Anstrengung) auftreten. Doch kann unter solchen Umständen auch bei gesunden, aber wohlgenährten und nicht an Anstrengung gewöhnten Pferden S. entstehen. Auch gewisse Vergiftungen, resp. gewisse Futterpflanzen, erzeugen S. (Weideschwindel), desgleichen soll S. durch Würmer[215] und chronische Erkrankungen der Bauchorgane (Abdominalschwindel) entstehen. Anderseits geben viele äußere Ursachen bei gesunden Pferden Veranlassung zu einmaligen Schwindelanfällen, so starke Lichtwirkungen, selbst schon innen lackierte, von der Sonne beschienene Scheuklappen, Druck unpassenden Kopfzeuges, Fremdkörper in den Ohren, lang fortgesetzte Kreisbewegung im Göpel, schaukelnde Bewegungen auf Dampfschiffen und Eisenbahn etc. Das Pferd bleibt stehen, zittert, schüttelt mit dem Kopf, taumelt, lehnt sich an, spreizt die Beine, zeigt Angst, dreht sich auch wohl und stürzt zusammen, bleibt einige Minuten liegen und steht dann ruhig wieder auf. Von Epilepsie ist der S. schon durch das Fehlen der Zuckungen unterschieden. Über Bremsenschwindel und »Schwindler«, die nichts mit S. zu tun haben, s. Bremen, S. 376, und Drehkrankheit.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 215-216.
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