Ruderfüßer [2]

[228] Ruderfüßer (Kopepōden, Copepoda), ungemein formenreiche Ordnung niederer Krebstiere (Entomostraca).[228] Die normalen (d.h. nicht durch Schmarotzertum mehr oder weniger umgestalteten) R. sind kleine Tiere (äußerst selten mehr als 1 cm lang) mit meist schlankem, wohlgegliedertem Leib und zahlreichen Gliedmaßenpaaren. Kopf und erstes Brustsegment sind gewöhnlich verschmolzen und tragen außer den zwei Paar Fühlern und vier Paar Mundgliedmaßen (Kiefer und Kieferfüßen) noch das erste Paar Ruderfüße. Dann folgen 3 oder 4 freie Brustringe mit ebenso vielen Ruderfußpaaren und darauf die fünf Ringe des Hinterleibes ohne Gliedmaßen. Das Hinterende des Körpers zeigt häufig eine Gabelung, die sogen. Furca. Stets ist das Gehirn und Bauchmark sowie meistens ein unpaares, mitten am Kopf gelegenes Auge vorhanden, das aber bei den Arten, die außerdem zwei große seitliche Augen besitzen, im Verhältnis zu diesen stark zurücktritt. Der Darmkanal ist meist sehr einfach gebaut; der Mund liegt auf der Bauchseite in der Mitte des Kopfes, der After hinten. Kiemen fehlen überall, so daß die Atmung durch die gesamte Haut erfolgt. Ein Herz ist nur selten vorhanden; das Blut wird durch Bewegungen des Darmes oder sonstige Einrichtungen in Zirkulation erhalten. Die Geschlechter sind stets getrennt; das Männchen hat meist besondere Greiforgane an dem ersten und zweiten Fühler, zweiten Kieferfuß und fünften Bein, die bei der Begattung dienen. Der Same wird in einem besondern, häufig recht umfangreichen, meist schlauchförmigen Behälter (Spermatophor) dem Weibchen nahe der Geschlechtsöffnung angeheftet, so daß die austretenden Eier gleich befruchtet werden. Diese werden dann meist in einem oder zwei Eiersäckchen vom Weibchen am Hinterleib getragen (s. Tafel »Krebstiere I«, Fig. 1). Die Jungen schlüpfen stets als sogen. Nauplius (s. d.) mit nur drei Gliedmaßenpaaren aus (s. Tafel »Entwickelungsgeschichte I«, Fig. 4) und machen dann recht erhebliche Umwandlungen durch. Diese führen entweder unter Vergrößerung des Körpers, Zunahme der Beinpaare etc. zu den eben beschriebenen, also den normalen, Formen oder, indem die Ausbildung einen andern Weg einschlägt, oft zu höchst abenteuerlichen Gestalten. Die Schmarotzer unter den Ruderfüßern nämlich entfernen sich von der geschilderten Norm um so mehr, je mehr sie das freie Leben und mit ihm die Bewegung aufgeben (s. Tafel »Entwickelungsgeschichte I«, Fig. 4, 4 a u. 4 b). Manche leben nur zeitweilig parasitisch, d.h. sie klammern sich an andre Tiere an und saugen ihr Blut oder leben von ihrem Schleim etc. Alsdann sind meist nur die Mundteile zu einem Stech- oder Saugrüssel umgestaltet. Wo sich dagegen ein R. an das stete Schmarotzerleben gewöhnt hat, da ist auch der ganze Körper rückgebildet. Wegen mangelnder Bewegung werden die Beine zu Stummeln oder schwinden ganz; der After kann, weil nur flüssige Nahrung aufgenommen wird, fehlen; Nervensystem und Sinnesorgane gehen fast ganz ein, und so wird in den äußersten Fällen das gesamte Tier zu einem Sack oder Schlauch ohne Gliederung und Glieder; nur Darm und Geschlechtsteile bleiben voll bestehen. Diese sogen. rückschreitende Metamorphose betrifft vielfach nur die ältern Weibchen; die aus den Eiern ausschlüpfenden Jungen leben eine Zeitlang frei und begatten sich auch noch, worauf dann das Weibchen sich ein Wohntier sucht und auf ihm die weitern Verwandlungen durchmacht. Doch bilden sich auch die Männchen, namentlich wenn sie als sogen. Zwergmännchen auf dem viel größern Weibchen leben, oft sehr stark zurück. In der Gattung Pennella, die auf Fischen und Waltieren wohnt und mit dem Kopf in deren Haut steckt, gibt es Arten von etwa 30 cm Länge und von so seltsamer Gestalt, daß man sie nur an ihren Embryonen als zu den Ruderfüßern gehörig erkannt hat. Sehr viele R. hausen an den Kiemen, in den Nasenlöchern, Schleimkanälen etc. von Fischen (daher auch Fischläuse, wie die Barschlaus, Achtheres percarum, genannt), andre auf oder in Weichtieren, Krebsen, Würmern etc. und sind manchmal dort geradezu festgewachsen. Wohl alle aber schlüpfen aus dem Ei noch in Form des Nauplius (wie die freilebenden) und schwimmen eine Zeitlang umher. Die ungemein zahlreichen R. (weit über 1000 Arten) teilt man in drei Unterordnungen: 1) echte freilebende R., mit Kaumund (Gnathostomata), hierher der Hüpferling (Diaptomus, Canthocamptus, Cyclops; s. Tafel »Krebstiere I«, Fig. 1), ein sehr gemeiner Bewohner unsrer Binnengewässer; 2) echte parasitische R., meist mit Saugmund (Siphonostomata mit Chondracanthus, Tafel I, Fig. 5), und 3) unechte R., die den ersten beiden Abteilungen, den echten Ruderfüßern (Eucopepoda), gegenübergestellt werden; nämlich die Karpfenläuse (Branchiura; einzige Familie Argulidae, s. Karpfenlaus u. Tafel »Krebstiere I«, Fig. 4), die durch Umbildung ihrer Mundwerkzeuge zu einer mit Stachel versehenen Saugröhre sowie durch Ausbildung von Haftscheiben charakterisiert sind. Letztere und besondere Klammerorgane dienen ihnen zum Anhaften an der Oberfläche der Fische, an denen sie leben, und die sie zeitweilig verlassen können, um frei herumzuschwimmen. Die Freilebenden und die Parasiten sind durch Übergangsformen, die nur gelegentlich schmarotzen, verbunden. Hierher gehört unter andern die Gattung Sapphirina, bei der das Männchen in den prächtigsten Farben schillert und frei im Meere lebt, während das Weibchen sich in Salpen aufhält. Vgl. Claus, Die freilebenden Kopepoden (Leipz. 1863). Giesbrecht, Die pelagischen Kopepoden des Golfes von Neapel (Berl. 1893); Kröyer, Bidrag til Kundskab om Snyltekrebsene (Kopenh. 1863); O. Schmeil, Deutschlands freilebende Süßwasser-Kopepoden (in der »Bibliotheca Zoologica«, Stuttg. 1892–96, 3 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 228-229.
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