Übervölkerung

[116] Übervölkerung, das Hinauswachsen der Menschenzahl über die an einem Orte sich darbietenden Unterhaltsmittel, so daß die bisherige Durchschnittsportion des Einzelnen auf die Dauer geschmälert werden muß. Eine Ü. gehört immer zu den schwersten u. gefährlichsten Volkskrankheiten. Eine übermäßige [116] Concurrenz der Arbeiter stürzt nicht blos materiell durch Herabdrückung des Lohnes die große Mehrzahl der Bevölkerung ins Elend, sondern ist überdies auch moralisch eine der gefährlichsten Versuchungen, für den Reichen zu Hartherzigkeit u. Menschenverachtung, für den Armen zu Neid, Unehrlichkeit u. Prostitution. Gerade die einfachsten u. nothwendigsten Verhältnisse werben dabei am Meisten vergiftet, bes. die geschlechtlichen Zustände durch die erschwerte od. zur Unmöglichkeit gewordene Eingehung einer Ehe u. durch die bittere Sorge für die Zukunft der gezeugten Kinder. Bei einer stillstehenden. od. rückwärtsgehenden Nation pflegt daher eine Ü. jedes Element des Verfalles um so mehr zu beschleunigen. Um diese nachtheiligen Folgen einer Ü. zu vermindern od. zu verhüten, hat man mehre Mittel vorgeschlagen; die meisten derselben haben jedoch nur einen zweifelhaften Werth. Man hat zu diesem Zwecke öfters zu gesetzlichen Heirathserschwerungen gegriffen; allein die Ausführung derselben hat gerade in dicht bevölkerten Ländern ganz besondere Schwierigkeiten. Wenn dabei in manchen Staaten als Bedingung der Heirathserlaubniß der vorherige Nachweis erfordert worden ist, daß der Heirathende auch im Stande sei eine Familie zu ernähren, so gibt ein solcher Nachweis einerseits deshalb gar keine Sicherheit, weil sehr leicht die anfänglich vorhandenen Mittel später unzulänglich werden können; andererseits schneidet eine solche Bedingung zuweilen gerade denjenigen die Möglichkeit zur Gründung eines Hausstandes ab, welche am ersten im Stande sein würden, durch Fleiß u. Sparsamkeit in der Ehe die Mittel zum Unterhalt einer Familie zu erwerben. Andere Staaten haben, um leichtsinnigen Eheschließungen vorzubeugen, ein Normaljahr für die Männer als Zeitpunkt festgesetzt, vor welchem eine Ehe nicht begründet werden darf, z.B. Württemberg u. Baden das 25., Altenburg das 24., Sachsen u. Hessen-Darmstadt das 21., Österreich das 20.; in anderen Staaten wird eine solche Altersbeschränkung indirect dadurch geschaffen, daß den jungen Männern die Schließung der Ehe versagt ist, bevor sie der Militärconscriptionspflicht genügt haben. Dagegen hat man in England u. Frankreich auf jede obrigkeitliche Erschwerung der Ehen verzichtet. Ein ganz eigenthümliches Mittel wider Ü. bildete die von Weinhold vorgeschlagene Infibulation (s.d.). Ein anderes Mittel, um der Ü. vorzubeugen, ist eine ordentlich geregelte Auswanderung, namentlich eine solche, bei welcher der ausgewanderte Theil des Volkes mit der zurückbleibenden Hauptmasse wirthschaftlich verbunden bleibt (Colonisatorische Auswanderung). Dagegen erweisen sich Erschwerungen der Einwanderung in der Regel unwirksam, denn abgesehen davon, daß dieselben meist sofort in den Nachbarländern Retorsionsmaßregeln erzeugen u. damit den sonst freien Abfluß der Bevölkerung nach außen hemmen, befördern sie zugleich im Innern die mit der Ü. verbundenen Nachtheile.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 116-117.
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