Centralisation

[813] Centralisation, die enge Verbindung der äußeren Theile eines Ganzen, mit dem ihnen gemeinsamen Mittelpunkte, hauptsächlich im politischen Sinne von dem Bestreben des Staates gebräuchlich, die Regierung in allen ihren Theilen zu concentriren. Dem Centralisationssystem steht das Decentralisationssystem gegenüber, bei welchem einzelnen Provinzen, Gemeinden, Corporationen, Unterbehörden u. Beamten eine größere od. geringere Selbständigkeit u. Unabhängigkeit vom Staatsganzen zuerkannt wird. Im 18. Jahrh., wo der Proceß der Umbildung des mittelalterlichen in den modernen Staat rascher vorwärts ging, zeigt sich im Allgemeinen ein auffallendes Vorwiegen der C. In der Gesetzgebung schwanden die einzelnen Particularrechte, u. allgemeine für das ganze Land gültige Bestimmungen traten an ihre Stelle; die gesetzgebende Befugniß der Landstände wurde beschränkt, ja ganz aufgehoben u. auf das Staatsoberhaupt übertragen, der öffentliche Unterricht ging aus den Händen der Kirchen- u. Ortsgemeinden in die des Staates über, ebenso wurde das Verkehrswesen, Posten, Münze, Maß u. Gewicht nach allgemeinen gesammtstaatlichen Normen regulirt. Diese im Ganzen segensreiche Tendenz, dem lockeren Zusammenhalt der einzelnen Glieder des Staates größere Festigkeit zu geben, hatte aber, auf alle Elemente des Staatslebens ausgedehnt, seine Mängel u. Übelstände im Gefolge. Der Staat faßte seine Aufgabe zu weit u. überhäufte sich mit Sorgen, die er ehedem selbständigen Organen überlassen od. mit ihnen getheilt hatte. Mit der Entwickelung des constitutionellen Staatswesens auf dem europäischen Continente trat daher dem Centralisationssystem die decentralisirende Tendenz entgegen, ohne daß darum die Fortschritte der C. in gewissen Zweigen des staatlichen Organismus gehemmt wurden. Die Ansicht brach sich Bahn, daß die Concentration der Kräfte des Staates in den Händen der Regierung nur in sofern von Werth sei, als sie auf organischem, nicht auf mechanischem Wege sich bewerkstelligen lasse, u. daß es zum Gedeihen des Gemeinwohls darauf ankomme, das richtige Maß für den Spielraum zu treffen, innerhalb welchem der Staat den legislatorischen u. administrativen Organen, sowie der Privatthätigkeit ein selbständiges Leben gestatten müsse. Man unterscheidet zwischen politischer u. administrativer od. zwischen legislatorischer u. Verwaltungscentralisation. Bei beiden ist das centralisirende Bestreben gerechtfertigt in allen Punkten, welche rein staatlicher Natur sind u. die Gesammtheit der Staatsangehörigen betreffen, so bei der Vertretung des Staates anderen Staaten gegenüber, wo das Staatsoberhaupt als Personification des Staates erscheint, bei der Organisation des Militär- u. Steuerwesens u. bei der Rechtspflege (ausgenommen die Rechtsprechung, bei welcher namentlich nach deutschem Grundsatze der Staat die persönliche Überzeugung des Richters nicht beeinflussen soll); dagegen hat das System des Decentralisirens dort seine Berechtigung, wo das Staatsinteresse nicht unmittelbar betheiligt ist, dagegen die Interessen gewisser Kreise der Bevölkerung in Betracht kommen. Hier wirkt die private Thätigkeit (z.B. die Institute der Stadtverordneten, Friedensrichter u.a.), vom Staate controlirt, od. die Maßregeln desselben unterstützend, mit besserem Erfolge, als die der besoldeten Beamten, welche kein persönliches Interesse an der Wahrnehmung dessen haben, was dem Wohle des Ganzen dient. Man hat dem Centralisationssystem, dasselbe mit dem Realsystem identificirend, auch das Provinzialsystem gegenübergestellt, alsdann bedeutet es die Vertheilung der ministeriellen Thätigkeit, nach den einzelnen Ressorts, nicht nach Provinzen. Die Unzweckmäßigkeit der letzteren Einrichtung ist jetzt allgemein anerkannt; dennoch erheischt bei Staaten, die aus ungleichartigen Bestandtheilen zusammengesetzt sind, die Praxis oft eine abgesonderte Verwaltung einzelner Landestheile, so namentlich Colonien, die von dem Mutterlande abgesondert, eine eigenthümliche staatliche Entwickelung genommen haben. In diesem Falle muß der Staathalter ausgedehntere Regierungsbefugnisse erhalten u. darf nur in sehr wesentlichen Fragen von der Autorität der Centralregierung abhängig sein.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 813.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika