Civilgerichtsbarkeit

[172] Civilgerichtsbarkeit (Jurisdictio civilis), der Inbegriff der Befugnisse, welche einer öffentlichen Person in Bezug auf die Ausübung der bürgerlichen Rechtspflege zugewiesen sind. Die C. wird eingetheilt: A) rücksichtlich ihres Ursprunges in: a) die von der Staatsgewalt selbst verliehene Gerichtsbarkeit (eigene C., Jurisdictio propria) u. b) die vermöge eines Auftrages von einer mit eigener C. versehenen Person auf einen Andern übertragene C. (Jurisdictio mandata). Die eigene C. kann dem Richter entweder als Amt verliehen sein (Amtsgerichtsbarkeit, Jurisd. officialis od. J. administratoria), od. sie ist einer Privatperson als vererbliches Gut verwilligt (Jurisd. patrimonialis, s. u. Patrimonialgerichtsbarkeit); die mandirte C. tritt theils ein, wenn das Gericht zu einem bestimmten Acte eine Deputation od. Commission abordnet, theils gehört auch als besonderer Fall des deutschen Civilproceßrechtes das Institut der Actenversendung (s.d.) hierher. B) Rücksichtlich des objectiven Umfanges unterscheidet man: a) Jurisdictio generalis od. J. universalis, wenn dem Gerichte die Gerichtsbarkeit in allen im Gerichtssprengel vorkommenden u. nicht ausdrücklich ausgenommenen Rechtssachen zusteht, u. b) Jurisd. particularis od. J. exemta, wenn sie entweder auf eine bestimmte Art von Sachen, z.B. Handelsstreitigkeiten, Lehns-, Vormundschaftssachen, od. auf eine gewisse Klasse von Personen, wie z.B. die Hofmarschalls-, Kriegs-, Universitätsgerichtsbarkeit, od. auf kleinere Orte in dem Bezirke, wie die Zaun- u. Pfahlgerichtsbarkeit, eingeschränkt ist. C) Nach der rechtlichen Beschaffenheit der Objecte wird endlich noch zwischen: a) Jurisd. contentiosa, welche die streitigen bürgerlichen Rechtssachen, u. b) Jurisd. non contentiosa od. J. voluntaria unterschieden, welche die gerichtliche Regulirung u. Mitwirkung bei nichtstreitigen Rechtsverhältnissen, wie bei Hypotheken-, Vormundschafts-, Nachlaßsachen, Mündigsprechungen, Adoptionen, Testamenten etc. zum Gegenstand hat. Die Thätigkeit des Richters in Bezug auf diese Geschäfte ist eine verschiedene, indem manche derselben nach den Gesetzen vor dem Richter verhandelt werden müssen u. eine genaue Untersuchung durch denselben voraussetzen, andere dagegen so beschaffen sind, daß sie nur vor Gerichtvorgenommen werden, um ihnen eine größere Glaubwürdigkeit zu verschaffen. In Beziehung hierauf wird die Jurisd. voluntaria wohl noch in eine Jurisd. volunt. mixta u. mera eingetheilt. Im Allgemeinen geht aber die Tendenz der neueren Civilgesetzgebung dahin, daß die Civilrichter aller Geschäfte der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit möglichst zu entkleiden seien, indem man sich überzeugt hat, theils daß die Masse derselben den Richter zu sehr in Anspruch nimmt, um dem Hauptberufe, der Rechtsprechung in sireitigen Sachen, sich mit voller Kraft hingeben zu können, theils aber auch, daß die Verbindung derselben mit dem Richterberuf den Richter oft in eigenthümliche Collisionen zu versetzen mag, indem er vielleicht berufen wird, in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die von ihm selbst verhandelt u. bestätigt worden sind, später noch Rechtssprüche abzugeben. Am weitesten ist in Verfolgung dieser Absicht bis jetzt das französische Recht gegangen, indem es fast die gesammte freiwillige Gerichtsbarkeit den Notaren (s.d.) übertragen hat. Der Begriff der streitigen C. erstreckt sich übrigens nicht blos auf die Entscheidung solcher Streitigkeiten, welche aus verletzten Privatrechten herrühren, sondern umfaßt überhaupt alle Streitigkeiten, welche zwischen mehreren bestimmten Personen um die Verletzung eines bereits erworbenen Rechtes handelt u. für deren Entscheidung der Richter wirklich Normen hat, nach denen er entscheiden kann. Vgl. auch unter Administrativjustiz, u. im Allgemeinen W. H. Puchta, Über die bürgerliche Rechtspflege Erl. 1826; Derselbe, Der Dienst der deutschen Justizämter, Erl. 1829–30, 2 Thle.; Über freiwillige [172] Gerichtsbarkeit insbesondere desselb. Handbuch des gerichtlichen Verfahrens in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 2. Aufl., Erl. 1831–32; Merkel, Das gerichtliche Verfahren in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Lpz. 1846.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 172-173.
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