Ohnmacht

[238] Ohnmacht (Deliquium animi, Lipothymia, Syncope), Unterbrechung mehrer Lebensäußerungen, namentlich der Fähigkeit zu willkürlicher Muskelthätigkeit, nebst vollständigem od. unvollständigerem Verschwinden des Bewußtseins. Der niederste Grad der O. ist das Vergehen der Sinne u. Kräfte auf kurze Zeit (Eclysis, Flausein, Schwächeanwandlung), in den höheren Graden ist alle Thätigkeit der Sinnesorgane u. alle Muskelbewegung aufgehoben, die Wärme u. Röthe der Haut vermindert, das Athmen schwach, der Puls schwer od. gar nicht fühlbar, der Herzschlag schwach u. undeutlich; der höchste Grad der O. ist der Scheintod. Die Ursache der O. sucht man in einer plötzlichen Anämie des Hirns, in einer für das augenblickliche Bedürfniß nicht ausreichenden Menge von circulirendem Blute in demselben. Der Ohnmächtigwerdende sinkt entweder sofort zusammen (Syncope), od. empfindet Vorboten, wie Schwindel, Verdunklung des Gesichts, Flecken, od. Mückensehen, Ohrenbrausen, Angst, Herzklopfen, Aussetzen des Herzschlages, Gähnen, Zittern, Blässe, Kälte u. Verfallen des Gesichts, der Lippen, Nase, Hände, kalten Schweiß, Zuckungen, Übelsein, Erbrechen etc.; hierauf tritt der eigentliche Anfall ein, es vergeht dem Kranken plötzlich Sprache u. Bewußtsein, die Sinne schwinden, u. wenn er im Anfange noch hört, so fehlt doch alle Kraft zum Entschließen u. Handeln, der Körper sinkt erschlafft zusammen od. zeigt krampfhafte Erstarrung, u. endlich sind selbst verstärkte Sinnesreize ohne Wirkung. Dieser Zustand hält einige Minuten, aber auch halbe Stunden lang an, worauf sich die Zeichen des wiederkehrenden Lebens einstellen, u. zwar unter Zuckungen der Gesichtsmuskeln an den Mundwinkeln u. Augenlidern, Aufstoßen, Seufzen, Gähnen, tieferem Athemzuge, Regelmäßigwerden des Pulses, Wiederkehr der Hautwärme, Erwachen der Sinne u. des Bewußtseins. Der Anfall hinterläßt einige Abgeschlagenheit der Glieder, welche sich aber bald verliert. Die O. kann tödtlich endigen in Stick- od. Schlagfluß, wie auch die niederen Grade der O. leicht in höhere, in den Scheintod u. in wirklichen Tod übergehen können. Auch kehrt die O. nicht selten periodisch in kürzeren od. längeren Zwischenräumen zurück u. hinterläßt so endlich eine Ohnmachtanlage mit erhöhter Reizbarkeit der Nerven. Die O. kommt bei mehren Krankheiten vor, so bei Hirn- u. anderen Nervenkrankheiten u. bei [238] Affectionen des Herzens u. des Blutkreislaufes; sodann aber auch bei Blutkrankheiten. Gewisse (meist zugleich nervenschwache u. vollblütige) Personen sind zu O. geneigt; mehr aber Frauen, zumal bei Krankheiten der Gebärmutter, zur Zeit der Schwangerschaft u. im Wochenbette, auch in Folge des Schnürens. Zu den Gelegenheitsursachen gehören heftige Gemüthsbewegungen u. Sinneseindrücke, heftige Schmerzen, große Hitze u. Kälte, elektrische u. galvanische Schläge, starker Blutverlust, Marodewerden, Hunger u. Durst, auch das bei Operirten vorkommende Eindringen der Luft in die Venen. Die O. ist oft nur ein unbedeutender Anfall, wie bei hysterischen u. ähnlichen Nervenkranken, bedeutend aber in anderen Krankheiten, so beim Wechselfieber, bei nervösen Fiebern, bei asthmatischen Übeln, bei organischen Hirn- u. Herzfehlern, bei großen Erschöpfungen; sie kann auch für sich selbst einen tödtlichen Ausgang haben. Die öftere Wiederkehr der O. u. das Fallen aus einer O. in die andere ist ein ungünstiges Zeichen, u. die Ohnmachtsneigung ist häufig unheilbar. Der Ohnmachtsanfall selbst kann bisweilen verhütet werden, wenn man bei eintretenden Vorboten schnell die Hindernisse der Respiration u. des Kreislaufes beseitigt durch frische, freie Luft, das Lösen anliegender Kleidungsstücke. Bei gelinderen Graden u. kürzerer Dauer kann das Erwachen ruhig abgewartet werden, bei längerer Dauer kann man die O. aufheben durch Besprengen mit kaltem Wasser u. Essig, durch Waschen der Stirn u. Schläfe, durch Einreibung von Naphthen u. Kölnischem Wasser, durch Riechmittel, durch Klystiere, Bürsten der Fußsohlen etc. Bei Neigung der O. zu einem Schlagfluß werden scharfe Hautreize, warme Fuß- u. Handbäder angewendet.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 238-239.
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