Rechtfertigung

[882] Rechtfertigung, 1) das Bemühen Eines sein ihm zukommendes Recht darzuthun od. ein ihm angeschuldigtes Unrecht von sich abzuwenden; 2) die Ausführung der Gründe, wegen welcher eine richterliche Entscheidung mittelst eines eingewendeten Rechtsmittels als unrechtmäßig angefochten worden ist. Daher Rechtfertigungsschrift (Libellus gravaminum), die Schrift, in welcher diese Ausführung enthalten ist; vgl. Rechtsmittel u. Appellation; 3) (Justificatio) nach der protestantischen Kirchenlehre der richterliche Act Gottes, durch welche der sündhafte Mensch in Folge seines Glaubens um Christi willen für gerechterklärt (nicht, wie nach katholischer Lehre, gerechtgemacht) wird. Diese R. entbindet also den Gläubigen nur von der Sündenschuld u. gibt ihm die Hoffnung auf die Versöhnung mit Gott u. die Aufnahme unter die Kinder Gottes. Die Wirkungen der R. sind einmal Ruhe u. Friede mit Gott u. daher Luft, Liebe u. Kraft zur Heiligung u. vollkommnen Erfüllung des Gesetzes; dann die rechte Ansicht von den Übeln des Lebens, welche nun, nur als Läuterungs- u. Prüfungsmittel erscheinend, durch die Hoffnung auf die dereinstige Seligkeit bei Christo überwunden werden u. die Freudigkeit in dem Herrn nicht zu trüben vermögen. Diese Erklärung Gottes ist stets ganz u. auf einmal u. wird Allen in gleicher Weise u. gleichem Maße ertheilt, u. jeder, welcher sich des wahren Glaubens bewußt ist, kann auch der erlangten R. gewiß sein. Da die R. allein in Folge des Glaubens (sola fide) geschieht (weshalb die R. auch Gerechtigkeit des Glaubens, Justitia fidei, heißt), welcher Glaube als blose Ergreifung des dargebotenen Heils Keinem als Verdienst angerechnet[882] werden kann, auch nicht von guten Werken begleitet zu sein braucht, so ist die R. ein reines Gnadengeschenk Gottes. Die R. geschieht insofern um Christi willen, als auf Grund des Verdienstes Christi dem Menschen der Glaube als Gerechtigkeit od., was dasselbige ist, die Gerechtigkeit u. der Gehorsam Christi dem Gläubigen als sein eigner angerechnet wird. Die Gerechtigkeit Christi ist aber theils eine wesentliche (J. essentialis), welche in der göttlichen Natur Jesu gegründet ist, theils eine verdienstliche (J. meritoria, J. mediatoria), durch welche er als Mittler für die sündliche Menschheit genugthat. Die Factoren der R. sind also die Gnade Gottes (Causa efficiens), das Verdienst Christi (Causa meritoria) u. der Glaube des Menschen (Causa apprehendens). Der Grund zu der Lehre von der R. findet sich bes. in den Briefen Pauli, welcher damit die bei den Juden herrschende Ansicht von der Gerechtigkeit vor Gott durch Gesetzeswerke bekämpfte. Während schon Augustinus gegen Pelagius (s.d.) die R. durch den Glauben betont hatte, nahm die Evangelische Kirche dieses Dogma auf (Augsburgische Confession Artikel 4,10) u. suchte es näher zu bestimmen. Nach dem katholischen Lehrbegriff wird dem Menschen nicht die Gerechtigkeit Christi zugerechnet u. sie wird auch nicht an den Glauben allein geknüpft, sondern sie tritt als unverdiente Gnade ein, wenn die wahre Buße vorhergegangen ist. Die rationalistischen Theologen sehen in der R. entweder eine tropisch aufzufassende jüdische Lehrmeinung od. sie verwerfen sie als der Tugend gefährlich ganz od. sie fassen hierbei nur die sittliche Gesinnung als Grundmoment ins Auge. Die neuere protestantische Theologie hat sie aber, nach gründlicher Beschäftigung mit dem paulinischen Lehrbegriff, festgehalten, u. wie vom Anfang der Kirche als das materielle Princip der protestantischen Kirchenlehre bezeichnet. Vgl. Lipsius, Die Paulinische Rechtfertigungslehre, Lpz. 1853.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 882-883.
Lizenz:
Faksimiles:
882 | 883
Kategorien: