Lüke (Schöne Künste)

[725] Lüke. (Schöne Künste)

Dieses Wort drükt überhaupt einen Mangel des Zusammenhanges, oder eine Unterbrechung des Steten oder in einem Fortgehenden aus. In den Werken des Geschmaks müssen die Vorstellungen in einem ununterbrochenen Zusammenhang aufeinander folgen, weil die Unterbrechung allemal etwas unangenehmes hat. Bis izt aber haben die Kunstrichter die unangenehme Würkung der vorkommenden Lüken, nicht in der nöthigen Allgemeinheit betrachtet. So haben sie bemerkt, daß im Drama die Lüken zwischen zwey Auftritten unangenehm werden, und deswegen dem Dichter die Regel vorgeschrieben, daß die Schaubühne während eines Aufzuges nicht müsse leer werden, und daß die gegenwärtigen Personen nicht abtreten müssen, bis die folgenden sich zeigen. Man fühlt leichte, daß der Zusammenhang der Handlung auf diese Weise am genauesten bemerkt wird. Im Drama muß der Zuschauer nie müßig seyn, damit seine Aufmerksamkeit nicht zerstreuet werde. Nur wenn eine Hauptperiode der Handlung zu Ende gekommen, kann man die Vorstellung unterbrechen, wie am Ende eines Aufzuges geschieht.1

Indessen haben auch große dramatische Dichter nicht allemal die Lüken vermieden. Man findet sie beym Plautus und beym Euripides: aber beym Sophokles erinnere ich mich keiner. Wenn man den Dichter auch keines Hauptfehlers beschuldigen will, wenn er irgendwo eine Lüke gelassen hat; so wird man doch gestehen, daß es besser gewesen wäre, wenn er sie vermieden hätte.

Aber anstößiger und schädlicher als diese Lüken, die im Grunde nur das äußerliche betreffen, sind diejenigen, die der Dichter in der Handlung selbst, oder der Redner in den Gedanken läßt. Wenn z.B. ein Mensch, den wir in gewissen Gesinnungen, oder in einem gewissen Vorhaben begriffen sehen, sich ändert, ohne daß wir den geringsten Grund dafür entdeken, so werden wir verdrießlich. Darum müssen alle Schritte der Gedanken und Handlungen der Menschen, von dem Künstler uns so vorgelegt werden, daß wir überall begreifen, wie der folgende aus dem vorhergehenden entsteht. Je genauer alles zusammen hängt und gleichsam in einander geschlungen ist, je besser sind wir damit zu frieden.

Dazu gehören von Seite des Künstlers zwey Dinge: die Gründlichkeit, die eigentlich auf den wahren Zusammenhang der Dinge geht, und die Sorgfalt wol zu untersuchen, ob man auch alles, was man hat sagen, oder vorstellen wollen, würklich gesagt und vorgestellt habe. Denn gar ofte entstehen in dem Werk des Künstlers Lüken, wo in seinen Gedanken keine gewesen sind; nur weil er nicht sorgfältig genug gewesen ist, zu überlegen, ob er auch würklich alles gesagt hat, was er gesagt zu haben sich vorstellt. Darum muß er sich oft an die Stelle seines Lesers, oder Zuhörers sezen und sein Werk, als ein solches beurtheilen. Dieses ist ein Theil der Ausarbeitung.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 725.
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