Das Corpus catholicorum und Corpus evangelicorum

[243] Das Corpus catholicorum und Corpus evangelicorum. Ungeachtet die deutschen Reichsstände insgesammt Mitglieder eines Reiches waren, so fanden doch unter ihnen, in Ansehung ihrer Rechte etc., viele Unterschiede Statt. Einen wichtigen Unterschied bewirkte die Verschiedenheit der Religion. Man theilte in dieser Hinsicht die Reichsstände in die katholischen (corpus catholicorum) und in die evangelischen (corpus evangelicorum). [243] Je weniger die katholischen Reichsstände ihr Recht, ein eignes Ganze zu bilden, achteten, weil sie die Stimmenmehrheit für sich hatten, den Reichstag dirigirten, und überdies der Kaiser ihrer Religion zugethan war; um so wichtiger war hingegen, eben wegen dieser überwiegenden Vortheile der Katholiken, dieses Recht für die evangelischen Reichsstände, besonders um sich gegen die Mehrheit der Stimmen zu schützen. Die erste Grundlage zur Verbindung der evangelischen Reichsstände liegt in Luthers Reformation, und den Anfang machten Sachsen und Hessen durch das 1526 zu Torgau, zur Vertheidigung der evangelischen Religion, abgeschlossene Bündniß, welchem bald darauf die Herzoge von Lüneburg und Mecklenburg, der Fürst von Anhalt, die Grafen von Mansfeld und die Stadt Magdeburg beitraten. Diese vereinten evangelischen Reichsstände protestirten schon im Jahr 1529 gegen den auf dem Reichstage zu Speier gegen die Evangelischen erfolgten Reichsschluß. Die übrigen evangelischen Reichsstände, den Vortheil dieser Verbindung einsehend, schlossen schon im sogenannten Nürnberger Religionsfrieden von 1532, als ein Corpus, mit den Katholiken, als zweitem Reichs-Corpus, den Vergleich ab; indessen wurde diese immer mehr sich ausbildende Verbindung der evangelischen Reichsstände blos in Angelegenheiten der Religion benutzt. Als aber während des dreißigjährigen Krieges die Kaiser Ferdinand II. und III. den Plan hatten, die evangelische Religion ganz zu unterdrücken, so wurde diese Verbindung, besonders seit 1631, allenthalben sichtbar, und durch den westphälischen Frieden förmlich anerkannt, und am engsten ward diese Verbindung der Evangelischen zu einem Corpus seit 1720. – Zum evangelischen Vereine gehörten alle evangelische Regenten, sowohl Lutheraner, als Reformirte, und zwar nach der herrschenden Religion des Landes zu beurtheilen, so daß ein für seine Person katholischer Regent, der ein evangelisches Land besaß, zum evangelischen Corpus gehörte. Ungeachtet auf dem Reichstage selbst, und sobald keine Absonderung der beiden Religionspartheien Statt fand, der Churfürst von [244] Mainz die Anordnung der Geschäfte oder das Directorium führte; so trat doch im Gegenfalle ein doppeltes Directorium ein, welches sodann der Churfürst von Mainz bei dem katholischen, der Churfürst von Sachsen aber bei dem evangelischen Corpus führte. Indeß wollte man nicht immer dieses letztere anerkennen, zu welchem Friedrich III., der Weise, Churfürst von Sachsen, gleichsam den Grund gelegt hatte, indem er 1522 auf dem Reichstage zu Nürnberg die Angelegenheiten der Protestanten durch seinen Gesandten vertheidigen, auch wider die, der evangelischen Religion nachtheilige, in den Reichsabschied einzurückende Clausul protestiren ließ. Sein Nachfolger, Johann der Beständige, stellte sich an die Spitze der Protestanten, und berief sie zur Berathschlagung über die Augsburgische Confession vor Uebergabe derselben zusammen und wurde, besonders seitdem er 1531 die evangelischen Reichsstände nach Schmalkalden berief, auch die dortigen Berathschlagungen dirigirte, von beiden Religionspartheien stillschweigend als Director anerkannt. Seit 1575 fing Churfürst Friedrich III. von der Pfalz, welcher von der katholischen Religion zur evangelischen übergetreten war, an, die Direction der Religionsangelegenheiten zu übernehmen, welche seine Nachfolger ganz an sich ziehen zu wollen schienen, und dies um so leichter, da die damaligen Churfürsten von Sachsen jenes mehr für eine Beschwerde, als für ein besonderes Recht ansahen. Während dem dreißigjährigen Kriege übernahm Anfangs Gustav Adolph, dann sein Kanzler Oxenstierna dieses Directorium; und dem Churfürst Johann Georg I., welchem bei seiner Anhänglichkeit an den Kaiser, selbst mehrere der evangelischen Stände, es zu übertragen, Bedenken fanden, wurde es dennoch nach Abschluß des westphälischen Friedens 1653 förmlich übertragen. Seit dieser Zeit blieb Sachsen in Besitz desselben bis zu Auflösung des deutschen Reichs. Zwar veranlaßten die Religionsänderungen Friedrich Augusts I. und II. neue Bewegungen bei den evangelischen Reichsständen. Allein, da jener die Aufrechthaltung der protestantischen Religion in seinen gesammten Landen versicherte, seine [245] Religionsänderung für eine blos persönliche Sache erklärt, dem Herzog Friedrich II. von Gotha das Directorium selbst übertrug, und diesem das Geheimeraths-Collegium zu Dresden, in Absicht auf die protestantischen Religionsgeschäfte, beiordnete; so waren die evangelischen Reichsstände beruhiget. Und auch, als Friedrich August II. 1717 sich zur katholischen Religion bekannte, der Churfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm I., aber jetzt besonders Hoffnung hatte, Director zu werden, so blieb doch, obschon der Churfürst von Hannover, Georg II., die freie Wahl eines Directors der evangelischen Stände, wiewohl umsonst, vorschlug, Sachsen in Besitz seines Rechts, und ließ das Directorium durch seine Gesandten fortsetzen, welche jedoch allezeit evangelischer Religion sein mußten, und in Reichstagsangelegenheiten ihre Instructionen vom Churfürsten, in Sachen aber, die das Corpus Evangelicorum angingen, solche vom geheimen Consilium in Dresden erhielten.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 243-246.
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