Ammen

[69] Ammen, d.h. Personen, die für Lohn bei Neugeborenen die Stelle der Mutter vertreten, werden, zumal unter den höhern Ständen, immer häufiger, da die Zahl derjenigen Frauen fortwährend sich mehrt, welche Krankheitsanlage, Schwächlichkeit und Reizbarkeit halber nicht stillen dürfen, wegen fehlerhafter Organisation oder Verkrüppelung ihrer Brüste, veranlaßt durch widernatürliches Schnüren und so manche andere Versündigung gegen die Natur, nicht stillen können, und endlich aus Bequemlichkeitsliebe, Vergnügungssucht und Eitelkeit nicht stillen wollen. Da das Säugen des Neugeborenen eine von der Natur der Mutter auferlegte Pflicht ist, so pflegt auch die Natur sich an Denen, welche leichtsinnig dieser Verpflichtung sich entziehen, oft recht empfindlich zu rächen, während sie für Diejenigen, welche derselben gewissenhaft nachkommen, das Säugen mit einem eigenthümlichen Reize und Vergnügen verknüpft hat. Entzündung, Verhärtung, Eiterung und Krebs der Brüste, Kindbetterinfieber, Hirnentzündung und eine Menge anderer Krankheiten, in manchen Fällen sogar der Tod, sind öfters die Folgen für Mutter, welche ohne Noth das Neugeborene, dem keine andere Nahrung die Muttermilch ersetzen kann, von der Brust verstoßen und einer Amme übergeben. Um aber, wenn nun einmal eine Amme angenommen werden muß, alles Mögliche zur Vermeidung der für das Neugeborene zu befürchtenden nachtheiligen Folgen gethan zu haben, ist bei der Wahl einer solchen Person die größte Vorsicht nöthig und es lassen sich die einer guten Amme nöthigen Eigenschaften im Allgemeinen etwa dahin bestimmen: Sie darf nicht unter 20 und nicht über 36 Jahre alt, muß vollkommen gesund sein und entweder gleichzeitig mit der Mutter des ihr anzuvertrauenden Kindes oder wenigstens nur kurze Zeit vorher geboren haben. Auch darf sie in der Jugend nicht an Skrophelsucht, an der sogenannten englischen Krankheit und überhaupt an keinen Krankheiten gelitten haben, welche nachtheilige Folgen für das ganze Leben haben können. Als äußere Zeichen einer guten Amme können eine gesunde, frische Hautfarbe, ebenmäßige Körperfülle, gesunde Zähne, ein festes, hochrothes Zahnfleisch und in der Regel braune Haare betrachtet werden. Ihre Brüste müssen von mittlerer Größe sein und viele blaue Adern durchscheinen lassen, die Brustwarzen aber regelmäßig geformt und der Milch leicht zugänglich sein; die Milch selbst muß eine weiße, etwas ins Bläuliche spielende Farbe haben, geruchlos und von süßem, zuckerigem Geschmacke sein. Auch hat man vor der Annahme einer Amme sorgfältig den Zustand ihres eignen Kindes in Obacht zu nehmen. Von höchster Wichtigkeit ist endlich der Charakter der Amme; in keinem Falle darf sie zanksüchtig, boshaft, jähzornig oder gar zu Ausschweifungen geneigt sein, und muß überhaupt aller der Eigenschaften entbehren, welche das Kind nicht mit der Muttermilch einsaugen soll. Während der Zeit des Stillens selbst hat die Amme eine sehr regelmäßige Lebensordnung zu führen, da jeder Verstoß gegen dieselbe für den Säugling die nachtheiligsten Folgen hat; und ist ihrer Verpflichtung zu entheben, sobald die Regeln oder Schwangerschaft eintreten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 69.
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