Dschaggernath

Dschaggernath

[603] Dschaggernath, Jaggernath und Juggernauth, eigentlich Dschagannatha, d.h. Herr der Welt, ist ein Name des Wischnu, des dritten der drei obersten Götter der Indier, dem unter andern auch einer der berühmtesten altind., umstehend abgebildeter Tempel geweiht ist, welcher in der Präsidentschaft Bengalen, im Bezirke von Cuttack am bengalischen Meerbusen in einer öden Sandgegend dicht am Meere liegt.

Der Tempel hat die den ind. Pagoden eigenthümliche Pyramidenform, ist von mehren kleinern umgeben und wird in weiter Ferne auf dem Meere als eine dunkle, formlose Steinmasse sichtbar, daher ihn die Europäer nur die schwarze Pagode nennen. Über das Alter derselben ist nichts Zuverlässiges bekannt, die Sage nennt aber einen alten König von Orissa, in welcher Landschaft der Tempel steht, welcher, von Sünden niedergebeugt, Brahma (s.d.) um Rath angefleht habe, wodurch er die ewige Seligkeit erwerben könne. Dieser empfahl ihm die Wiederherstellung eines ehemaligen Tempels des Wischnu, der aber jetzt vom Meersande verschüttet und dessen Lage nur von einer uralten Schildkröte zu erfahren sei, deren Aufenthalt er näher bezeichnete. Diese wies den König wieder an einen vor Alter weißen Raben, welcher ihn an den Ort brachte, wo der verschüttete Tempel sich befand, den ihn bedeckenden 10 M. tiefen Sand mit dem Schnabel etwas entfernte und ihm den goldenen Schrein des Wischnu zeigte. Jetzt erholte sich der König nochmals bei Brahma Raths, was er zu thun habe, um das Volk zu der jenem heiligen Orte schuldigen Ehrfurcht zu bewegen, und ward nun angewiesen, einen neuen Tempel daselbst zu bauen, bei dem sich Wischnu selbst in Gestalt eines Baumstammes einfinden werde, in den er sich nach Verschüttung des frühern Tempels verwandelt habe, weil er seine Lieblingsgegend nicht meiden wollte. Den Baumstamm solle er dann mit Pomp in den Tempel versetzen, wo der Zimmermann der Götter, Wischwakarma, selbst Wischnu's Bild daraus formen wolle. Alles Das geschah und der himmlische Zimmermann versprach sein Werk in einer Nacht zu vollenden, wenn ihn keines Menschen Auge bei der Arbeit störe; da der neugierige König aber durch eine Spalte schaute, verschwand er auf der Stelle und der Götze behielt die unförmliche Gestalt, in der er noch mit seinem weißen Bruder Balaram und seiner gelben Schwester Schubudra dort verehrt wird. Über eine Million Pilger finden sich jährlich, besonders zu den Hauptfesten im März und Jul., hier ein, an denen die Götzen zur Verehrung auf thurmähnlichen Wagen ausgestellt werden, welche das Volk zieht und unter deren Rädern dann immer eine Anzahl Schwärmer den freiwilligen Tod unter dem Beifalljauchzen der Menge sucht, denn Alle, welche hier oder nur an der nahen Küste sterben, sollen in Wischnu's Paradies eingehen, weshalb besonders viele alte Leute hieher wallfahrten. Zahllose Pilger kommen schon unterwegs nach diesem Tempel vor Erschöpfung um und bis auf 12 M. weit findet man an den dahin führenden Straßen häufig Menschengebeine; in der Nähe des Tempels selbst ist ein von den Europäern Golgatha genannter Ort, wo die Leichname der Gestorbenen gewöhnlich den Raubvögeln und Hunden preisgegeben werden. Die Engländer eroberten 1803 dieses Gebiet und hoben die Abgabe auf, welche vorher von den Pilgern erhoben wurde und nach Abzug der Unterhaltungskosten des Tempels der Regierung zufiel. Später wurde sie jedoch wieder eingefodert und seit 1809 ist die Aufsicht über Tempel[603] und Priester dem unter engl. Hoheit stehenden Rajah von Kurdah anvertraut, auch 1810 eine Straße von Kalkutta dahin angelegt worden, wozu ein reicher Hindu ungefähr 100,000 Rthlr. hergab.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 603-604.
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