Epimenides

[676] Epimenĭdes hieß ein Philosoph und Dichter der alten Griechen, der in Knossus auf der Insel Kreta geboren, im 6. Jahrh. v. Chr. lebte und ein Zeitgenosse der sieben Weisen Griechenlands war, denen ihn Manche sogar anstatt des Periander beizählten. Von seinen Schriften in gebundener und ungebundener Rede hat sich nur ein angeblicher Brief an Solon (s.d.) erhalten; berühmter als durch sie war er aber wegen seiner wunderbaren Schicksale und geheimen Weisheit, und die Sage schildert ihn als Vertrauten der Götter und Seher der Zukunft. Die von Feinden und schweren Krankheiten geängstigten Athener, denen das Orakel erklärt hatte, sie hätten durch Entweihung der Tempel die Götter erzürnt, riefen den E. herbei, der sie wieder mit ihnen versöhnte, durch kluge Anordnungen den Übeln abhalf und bei seiner Entfernung statt aller Belohnung blos einen Zweig von dem der Minerva geweihten Ölbaume annahm. Seine Seele soll sich haben vom Körper beliebig trennen und wieder mit demselben vereinigen können; als Knabe soll ihn einst in einer Höhle der Schlaf überfallen haben, aus dem er erst nach 40 oder, wie Andere angeben, nach 57 Jahren wieder erwachte und dann freilich Alles sehr verändert antraf. Das Erwachen des E. ist daher auf plötzliche Entwickelungen unerwarteter Dinge sprüchwörtlich angewendet worden und hat den Stoff zu einer, der Jahresfeier der Schlacht bei Leipzig gewidmeten Dichtung Göthe's »Des Epimenides Erwachen« geliefert.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 676.
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