Knochenfrass

[622] Knochenfrass, Knochenfäule, Beinfraß, Beinfäule sind gleichbedeutende Benennungen für eine der Verschwärung in den weichen Theilen des thierischen Körpers ähnliche krankhafte Veränderung der Knochensubstanz, die sich dadurch beurkundet, daß der erkrankte Knochen wenn er von den ihn bedeckenden Weichtheilen entblößt ist, bräunlich oder selbst schwärzlich gefärbt, an seiner Oberfläche rauh und uneben, überhaupt aber nachgiebig, wurmstichtig und stellenweise zerstört erscheint, wobei die Knochenblättchen sich leicht mit einer silbernen Sonde durchdringen und dann eine grauliche, bräunliche oder schwärzliche Jauche von eigenthümlich ekelhaftem Geruche ausfließen lassen oder sich auflockern und aus der Geschwürfläche schwammige oder fleischige Auswüchse hervorwuchern. Die eben beschriebene Veränderung des Knochens ist immer Folgeübel einer vorangegangenen Entzündung, die entweder in der sogenannten Beinhaut und oberflächlichen Knochenschicht oder in der Markhaut und dem Gewebe des Knochens selbst ihren Sitz hatte und entwickelt sich unter folgenden Erscheinungen. Nachdem kürzere oder längere Zeit stumpfe, tiefsitzende, zuweilen sehr heftige und sich auf die erkrankte Knochenstelle begrenzende Schmerzen stattgefunden haben, entsteht bald in der unmittelbaren Nähe, bald in einiger Entfernung von letzterer eine Geschwulst, die nur langsam und ohne daß sich die Färbung der Haut verändert, zunimmt, wenn der Knochen von nur wenigen Weichtheilen bedeckt ist, mit diesem selbst zusammenzuhängen scheint und von einem harten Rande umgeben wird. Endlich aber röthet und entzündet sich die die Geschwulst bedeckende Haut und bricht auf. Es bildet sich ein Geschwür von schlaffem, welkem Ansehen mit bräunlicher Umgebung und entleert eine schlechte, verschiedentlich gefärbte Jauche, die bald einen übeln Geruch annimmt. Greift hierauf die Zerstörung weit um sich, so entwickelt sich gewöhnlich ein schleichendes Fieber, oder es wird der Knochen, wenn die Entzündung in seinem Innern wurzelt, unter heftigen, besonders in der Bettwärme sich vermehrenden Schmerzen, bedeutend aufgetrieben und geht theilweise oder ganz in eine schwammige Masse über, wobei die nahegelegenen Weichtheile ebenfalls anschwellen und endlich fistulöse Geschwüre entstehen. Die Ursachen des Knochenfraßes, als welche alle Schädlichkeiten betrachtet werden können, die mit Verschwärung endigende Entzündung der Knochen herbeiführen, unterscheidet man in äußerliche oder örtliche und in innerliche oder allgemeine, welche auf einer krankhaften Mischung der ganzen Säftemasse beruhen. Zu den erstern gehören äußere Gewaltthätigkeiten, welche die Knochen treffen und mit Aufhebung ihres Zusammenhanges oder Verletzung der Beinhaut verbunden sind, Knochenbrüche, anhaltende Einwirkung eines Drucks auf sie, Eiterung in ihrer Nähe, Bloßlegung derselben, sodaß die Luft freien Zutritt zu ihnen hat; zu den innerlichen oder allgemeinen Skrophelsucht, engl. Krankheit, Lustseuche, Skorbut, Gicht, Rheumatismen, Unterdrückung gewohnter Ausleerungen, sogenannte Versetzungen nach vorausgegangenen hitzigen oder langwierigen Hautausschlägen. Der Knochenfraß entwickelt sich am häufigsten in Knochen von mehr schwammigem Gefüge und in der Nähe der Gelenke, bei Skrophelsucht fast ausschließlich an den Knochen der Hand-und Fußwurzel, an den Gelenkenden der Röhrenknochen, so am Ellenbogen, Knie u.s.w., und ist immer eine bedenkliche Krankheit. Indessen hängt der Ausgang derselben sehr von der Körperconstitution, dem Alter und den gesammten Lebensverhältnissen des Kranken, von der Ursache und dem Sitze des Übels ab. Liegt demselben Skrophelsucht zum Grunde, hat es seinen Sitz in der Nähe von Gelenken, ist [622] der Kranke in Folge des gewöhnlich gleichzeitig vorhandenen schleichenden Fiebers schon sehr erschöpft, so ist oft die Hinwegnahme des erkrankten Gliedes das einzige Rettungsmittel. Ebenso oft aber bewirkt die Natur besonders bei jüngern Personen mit dem Eintritte der Mannbarkeit durch ihre eignen Kräfte die Heilung.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 622-623.
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