Romantisch

[734] Romantisch und Romantik sind Ausdrücke, welche in den mannichfaltigsten Beziehungen, vorzugsweise jedoch für jene Richtung der christlichen europ. Literatur und Kunst gebraucht werden, die sich während des Mittelalters als schönste Zierde der damaligen geistigen Zustände entwickelte. Der vorwaltenden Klarheit, sinnlich-objectiven Auffassung und gemessen-heitern Ruhe in der antiken Poesie und Kunst entgegengesetzt, wurden, als nach Verdrängung der alten Götter das Christenthum die neue Zeit beseelte, von diesem Geist und Phantasie auf eine neue, übersinnliche Welt hingewiesen, der sich sehnsüchtig die Gemüther mit ihren Ahnungen und kindlich frommen Hoffnungen zuwendeten. Man versenkte sich in das unermeßliche Reich des Unsichtbaren und Wundervollen, und das Bestreben, das Unerfaßliche und nur dunkel Empfundene in die poetische und künstlerische Darstellung zu übertragen, athmete ihr jenes erhöhte und veredelte, eigenthümliche Gefühlsleben ein, welches im Verein mit den von volksthümlichen und örtlichen Verhältnissen, von der veränderten Stellung der Frauen, der Entwickelung des Ritterthums und andern Umständen herrührenden harmonischen Einflüssen, in den verschiedensten Formen die künstlerischen Schöpfungen des Mittelalters durchdringt. In seinen bedeutsamen Äußerungen erfüllt es uns noch immer mit hoher Bewunderung weckt die erhabensten Regungen in der Menschenbrust obgleich jene Zeit geistiger Dämmerung längst hinter uns liegt und wir uns bemühen, das Schöne und Erhabene, was damals der Mensch im dunkeln Drange nach Offenbarung seiner edlen Gaben hervorbrachte, nun durch Bewußtsein veredelt herzustellen. Für die nationale Richtung der deutschen Literatur und Kunst und die Beurtheilung des Mittelalters ist es im Allgemeinen ersprießlich gewesen, daß in neuerer Zeit namentlich A. W. und Friedr. Schlegel und L. Tieck mit ihren Freunden sich bemühten, das Romantische für die Gegenwart wieder zu beleben, obgleich dadurch mitunter unklare und beschränkte Köpfe zu argen Verirrungen hingerissen worden sind. Mit dieser deutschen Schule der Romantiker darf jedoch die neue Richtung in der franz. Literatur nicht verwechselt werden, deren Anhänger ebenfalls Romantiker genannt werden, allein keineswegs zur mittelalterlichen Romantik sich bekennen, sondern vielmehr dem erstarrten Classicismus gegenüber (s. Französische Kunst, Literatur, und Wissenschaft) einen ganz der modernen Zeit und Volksthümlichkeit angehörenden Geschmack in Literatur und Kunst vertreten, den aber noch große Gebrechen entstellen. Häufig besonders wird auch der Ausdruck romantisch auf Gegenden angewendet, wo er dann wildschön und schauerlich, aber auch nur vorzugsweise malerisch bedeutet.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 734.
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