[717] Ritterthum (das) und Ritterwesen begreift Alles, was mit dem Leben, dem Wirken und der Verfassung der Ritter im Mittelalter zusammenhängt, und hat sich aus den eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen der germanischen Völker unter Einwirkung des Christenthums herausgebildet.
Von ihnen ward es mit volksthümlichen Abweichungen auch bei den südl. Nationen angenommen und erreichte mit der festern Gestaltung des Lehns-und Vasallenverhältnisses seine, vorzüglich die Zeit vom 11.–14. Jahrh. auszeichnende, vollendetste Form. Eigentlich bedeutet Ritter nur so viel wie Reiter, dann aber einen berittenen Krieger, zu dessen Ausrüstung Helm, Panzerhemd und später eiserne Rüstungen, ein großes Schwert, Lanze, Streitkolben und Dolch gehörten. Da sich aber mit diesen Dingen ein Jeder selbst versehen mußte, so waren das nur Leute von Vermögen im Stande, was damals hauptsächlich auf dem Grundbesitz beruhte. Sehr früh schon bildeten sich unter diesen Kriegsmännern Genossenschaften zu gemeinschaftlicher Aushaltung in Freud und Leid und Krieg und Abenteuern, und schon im 6. Jahrh. soll die von schot. König Artus gestiftete Gesellschaft der Ritter von der Tafelrunde (s.d.) bestanden haben. In Deutschland wurde man zuerst durch die Kriege mit den gut berittenen Avaren und Hunnen auf die Nothwendigkeit einer zahlreichern Reiterei hingewiesen und aus dieser bildete sich allmälig der Ritterstand zu einem abgeschlossenen, an gewisse Formen und Gesetze ebenso gebundenen Ganzen aus, wie es in ihrer Art die Zünfte und andere Genossenschaften waren. Die Ritterwürde mußte durch unbescholtenen Lebenswandel und tapfere Thaten erworben werden und war jedem Freigeborenen zugänglich, ehe in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. der meist aus dem Ritterstande hervorgegangene Adel sich dieselbe als ausschließliches Vorrecht anmaßte. Indessen war die Erlangung derselben auch jetzt noch längere Zeit an strenge Bedingungen gebunden und namentlich mußte eine sorgfältige Ausbildung für das Waffenhandwerk vorausgehen. Zum Theil schon vom siebenten Jahre an weilten die Söhne der Edelleute am Hofe oder im Gefolge eines ausgezeichneten Ritters als Buben, Pagen oder Edelknaben, hatten ihren Gebieter und dessen Gemahlin zu bedienen, begleiteten sie auf Jagd und Reisen, erlernten dabei die Führung von Pferd und Waffen und wurden nach abgelegten Proben von Geschicklichkeit und Muth im 14. Jahre wehrhaft und zu Knappen gemacht. Auch dies geschah auf eine feierliche Weise, doch hatte der angehende Knappe dabei auch mancherlei zu dulden und bekam namentlich bei seiner Entlassung als Edelknabe noch einen derben Backenstreich. Der Knappe oder Edelknecht hatte nunmehro für das Pferd und die Waffen des Ritters zu sorgen, den er zu Pferde in den Kampf begleitete und dann einen Küraß, eine eiserne Pickelhaube und ein kurzes Schwert trug. Treue Erfüllung seiner neuen Pflichten und besonders Beweise von Geschicklichkeit in der Führung der Waffen berechtigten ihn, sich nach einiger Zeit, jedoch nicht vor dem 21. Lebensjahre, um die Ritterwürde zu bewerben, die von einem anerkannt musterhaften Rittersmann durch den Ritterschlag unter vielen Feierlichkeiten ertheilt zu werden pflegte. Man bereitete sich durch Gebet, Beichte und Fasten dazu vor und stellte sich dann in prunkloser dunkler Kleidung an dem Orte ein, wo die Handlung vor sich gehen sollte. Nachdem hier ein Bad genommen worden, legten die Bewerber weiße Kleidung an und ließen sich Haar und Bart verschneiden. So erschienen sie vor dem Fürsten oder Oberlehnsherrn, welcher die Handlung durch seine Gegenwart ehrte, worauf die zahlreich geladenen Zeugen und die dem neuen Ritter, wie bei der Taufe, bestimmten Pathen in Procession mit ihm zur Kirche gingen. Nach der Andacht folgte ein Mahl, bei welchem aber der künftige Ritter an einem kleinen Tische seitwärts von der großen Tafel saß und zum Zeichen seiner Enthaltsamkeit weder sprechen, noch lachen, ja nicht einmal etwas genießen durfte. Nach demselben ward er in die Kirche oder eine dazu ausersehene Kapelle geführt, wo er seine erste Nachtwache thun mußte und am folgenden Morgen abgeholt wurde, um endlich den Ritterschlag zu empfangen. Alles begab sich dazu wieder in feierlichem Zuge zur Kirche, wobei der neue Ritter das Schwert am Halse hängen hatte und so vor dem Altar erschien, wo das Hochamt gehalten, das Schwert eingesegnet und der Rittereid abgelegt wurde, indem er gelobte, zur Vertheidigung von Fürst und Vaterland immer bereit sein, die Frauen ehren und schützen, alle irdische Habe dem Besten der Kirche opfern und sich allen, besonders frommen Tugenden widmen zu wollen. Dann kniete er vor Dem nieder, von welchem der Ritterschlag ertheilt werden sollte, was durch dreimalige Berührung mit dem entblößten Schwerte im Namen Gottes, des h. Michael und h. Georg und Ertheilung des Bruderkusses geschah. Sodann wurden ihm von befreundeten Rittern und auch wol Damen die ritterliche Rüstung angeschnallt, das Schwert umgürtet und die goldenen Sporen angelegt, sowie Helm, Schild und Lanze gereicht und nachdem er nochmals seine Andacht verrichtet, verließ er mit den Andern das Gotteshaus, stieg zu Pferde und zeigte sich dem versammelten Volke in seiner neuen Würde. Diese umständlichen Feierlichkeiten unterblieben natürlich oft und namentlich im Kriege, wo dagegen neugeschlagenen Rittern die Auszeichnung zu Theil wurde, am nächsten Tage auf den gefährlichsten Stellen zu fechten. Sobald einer den Ritterschlag empfangen hatte, durfte er keine Beleidigung mehr dulden, sondern mußte den geringsten Schimpf mit dem Schwerte rächen, und als Herausfoderung in solchen Fällen galt es, dem Andern den Handschuh vor die Füße zu werfen, der dagegen durch Aufheben desselben den gebotenen Kampf annahm, für welchen ebenfalls gewisse allgemein gültige Regeln bestanden. (S Fehde.) Ebenso hatten sich bestimmte Gesetze der Ehre und ritterlichen Höflichkeit gebildet, welche im hitzigsten Streite nicht verletzt werden durften, und Der befleckte seinen Ruf, welcher sie nicht beobachtete, z.B. unter offenbarer Überlegenheit der Waffen und etwa zu Pferde seinen unberittenen Gegner angriff u. dgl. m. Im Frieden gaben besonders die Turniere (s.d.) dem Ritter Gelegenheit, Kraft und Gewandtheit in Führung von Pferd und Waffen vor zahlreichen und festlich geschmückten Zuschauern zu bewähren. Mancher zog im fröhlichen Übermuthe seines Standes nach [717] solchen Ritterfesten und auf Abenteuer, auch wol zu Ehren seiner Dame und zuweilen ohne alle Begleitung weit umher, verweilte an den Höfen und auf den Burgen, wo dergleichen sogenannte fahrende oder irrende Ritter stets [718] gastliche Aufnahme fanden, bis in späterer Zeit zu viel Misbrauch damit getrieben ward und meist Habe- und Heimatlose dazu ihre Zuflucht nahmen, um sich und ihr Pferd zu erhalten, wenn der Ertrag des Straßenraubs dazu nicht ausreichte, was vom Sattel oder Stegreif leben hieß. Aber auch Besitzer fester Burgen hielten es für keine Schande, von der Unbeschränktheit ihres Standes und der Überlegenheit ihrer bewaffneten Diener Gebrauch zu machen, um friedlich vorüberziehende Handelsleute zu berauben und kleinere Ortschaften und Klöster zu brandschatzen. Die Beute ward dann auf den Burgen solcher Raubritter verpraßt, deren schändlichem, Recht und Eigenthum im Staate fortwährend bedrohendem Treiben die deutschen Kaiser und mächtigern Reichsfürsten durch Gesetze und nachdrücklicher noch durch Zerstörung solcher Raubschlösser Schranken zu setzen suchten, ohne das Unwesen ganz unterdrücken zu können, was erst mit dem Ritterwesen selbst aufhörte. Die geistige Finsterniß jener Zeiten begünstigte solche Verbrechen, und nach der von der Kirche aufrecht erhaltenen Lehre der Sündenvergebung durch ihre Diener, glaubte man sich durch Stiftung von Messen, Kapellen, Klöstern, durch Gelübde und Wallfahrten noch zeitig genug von jedem Frevel rein machen zu können. Bei einem in solchem blinden Glauben erzogenen, nur zu den äußern Religionsübungen angehaltenen Geschlechte, mußte der zu Ende des 11. Jahrh. ergehende Aufruf zur Eroberung des heiligen Landes den gewaltigsten Anklang finden und die Kreuzzüge (s.d.) vereinigten daher auch Fürsten und Ritter aus allen christlichen Ländern zu jenem gemeinsamen Ziele. Der Wetteifer ihrer Bestrebungen verschmolz dabei die edlern Eigenschaften der Einen mit denen der Andern, und das Verweilen in Konstantinopel und andern griech. Städten hatte nicht minder den größten Einfluß auf Umgestaltung von Sitte und Lebensart. Die Zurückkehrenden brachten gefälligere, liebgewonnene Formen und mannichfache Erfahrungen mit nach Hause, welche auch hier bildend einwirkten, dem Ritterwesen erst seit jener Zeit zu seiner edlern Ausbildung verhalfen und es mit der Poesie jener Tage eng verschwisterten. (S. Minnesänger und Troubadours.) Die Ritterorden (s. Orden) gehören nicht minder zu den schönsten unmittelbaren Ergebnissen der Kreuzzüge und verknüpften recht eigentlich Alles, was die einseitige Richtung und religiöse Schwärmerei der Zeit als edelste Pflichten des Ritters ansah. Bald nach dem Aufhören der Kreuzzüge verfiel aber das Ritterwesen von Neuem und die fortschreitende Zeit trat den im Gegensatz zu derselben sich herausstellenden Anmaßungen desselben wider die allgemeinern, unveräußerlichen Rechte der Menschheit immer hemmender entgegen. Das endlich aufdämmernde Licht in religiösen Dingen, die zunehmende Nothwendigkeit, die wenn auch misverstandenen Zwecke der Regierungen und Staaten nicht mehr von der Ungebundenheit Einzelner durchkreuzen zu lassen, die nach Erfindung des Schießpulvers eintretende Veränderung im Kriegswesen, welche den Rittern das beneidete Vorrecht kostete, in einer gut verstählten Hülle auf einem ebenfalls gepanzerten Rosse ohne sonderliche Gefahr vor Verletzung meist mit Hülfe körperlicher Kräfte die Rolle der Tapfern fortzuspielen, vereinigten sich mit andern Umständen im 16. Jahrh. zur gänzlichen Beseitigung eines Instituts, dessen rühmliche Seiten nur von Wenigen noch aufrecht erhalten wurden. Die lobenswerthen Eigenschaften der Ritter sind es denn auch blos, welche man jetzt noch mitunter ritterliche nennt, die aber nichtsdestoweniger durch die höhere Bildung der Gegenwart gehoben und überhaupt auf einem andern Grunde als der romanhaften Schwärmerei, dem blinden Glauben und Aberglauben und der Standeseinbildung des Mittelalters begründet sein müssen, wenn sie zur wahren Geltung gelangen wollen. Ausführlicher handeln vom Ritterwesen Büsching's »Vorlesungen über Ritterzeit und Ritterwesen« (2. Bde., Lpz. 1823) und »Das Ritterwesen und die Templer, Johanniter u.s.w.« (2 Bde., Stuttg. 1822 fg.)
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