Theophilanthropen

[409] Theophilanthropen oder Theanthropophilen, d.i. Anbeter Gottes und Freunde der Menschen, hießen die Glieder einer religiösen Gesellschaft, welche zur Zeit der franz. Revolution 1796 zu Paris als eine Folge des ausgearteten religiösen Zustandes jener Zeit entstand. Indem nämlich die Neigung zum Christenthume in einem Theile der Nation wieder hervortrat, ein anderer aber dieselbe fürchtete, suchte man das erwachende religiöse Bedürfniß durch eine regelmäßige Gottesverehrung der natürlichen Religion zu befriedigen. Die Gesellschaft ging aus einer Verbindung von fünf Familienvätern, Chemin, Mareau, Janes, Hauy, Vorsteher eines Blindeninstituts, und Mandar hervor, der sich mehre Schriftsteller anschlossen, welche die Lehren und Ansichten der Theophilanthropen empfahlen und vertheidigten und zu denen sich bald ein größerer Kreis von Bekennern gesellte. In jeder Woche versammelten sich dieselben und hielten ihre Andachten mit Singen, Beten und religiösen Vorträgen, dann aber, als durch die Eitelkeit eines Mitgliedes des Directoriums der Mitgebrauch von zehn Kirchen in Paris ihnen zugestanden worden war und sie sich über die meisten Provinzen verbreitet hatten, an den Decaden und endlich Sonntags, wenn der katholische Gottesdienst gehalten worden war. Gott, Unsterblichkeit, Moral und die Natur mit ihren wechselnden Erscheinungen waren die Hauptgegenstände [409] des theophilanthropischen Religionscultus. Christus galt nur als ein Weiser, nicht als ein Erlöser. Nur Taufe, Confirmation und Schließung der Ehe wurden von der Gesellschaft als religiöse Gebräuche anerkannt. Die Taufe bestand in einer Weihe und in Ermahnungen an die Aeltern und Pathen des Kindes; die Confirmation bestand darin, daß der erwachsene Täufling seine Aufnahme in die Gesellschaft durch Gelübde besiegelte; die Schließung der Ehe bestand in einer Verknüpfung des Brautpaars durch Ringe und Bänder. Das Innere der Gotteshäuser war mit Bildern und Inschriften verziert und auf dem Altare stand ein Korb mit Blumen, die dem Herrn zum Opfer geweiht waren. Die Theophilanthropen hatten keine eigentlichen Geistlichen, wol aber Vorsteher, Lehrer und Leser unter sich. Die Kleidung derselben beim Gottesdienste bestand in einem großen, weißen Rocke, einem blaufarbigen Unterkleide und buntem Gürtel. Alles, was zum religiösen Bedürfnisse gehörte, wurde fast allein von den Gliedern der Gesellschaft selbst bestritten. Da sich aus der Mitte der Gesellschaft keine mächtig wirkende Persönlichkeit erhob, so konnte dieselbe weder gegen das Christenthum noch gegen die Gleichgültigkeit bestehen, daher sie, vom Spotte der öffentlichen Meinung verfolgt, nach kurzer Blüte zerfiel, als der erste Consul in Übereinstimmung mit Papst Pius VII. 1802 ihre gottesdienstlichen Versammlungen verbot.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 409-410.
Lizenz:
Faksimiles:
409 | 410
Kategorien: