Wallfahrten

[648] Wallfahrten. Das Reisen, Pilgern, Wallen oder Wandern zu einem für besonders heilig gehaltenen Orte, um daselbst seine Andacht zu verrichten und dieser dadurch ein vermeintlich größeres Verdienst zu geben, ist bei morgenländ. und asiat. Völkern, auch bei den Juden, seit uralten Zeiten Sitte gewesen. Im Christenthume wurden erst seit dem 4. Jahrh. Jerusalem, Nazareth und andere Orte von Palästina das Ziel von Pilgern, allein noch vor Ende des Jahrh. sprachen die Kirchenväter wegen der dadurch beförderten Sittenlosigkeit und Trägheit ernsten Tadel dagegen aus. Die röm. Bischöfe erhoben dagegen später das Verdienst solcher Wallfahrten von neuem, indem sie der an jenen heiligen Orten verrichteten Andacht eine unfehlbar versöhnende Kraft zuschrieben. Die Spaltung zwischen der abendländ. und morgenländ. Kirche und das Vordringen [648] der Sarazenen unterbrach diese Wallfahrten, welche die Kreuzzüge nur vorübergehend wieder in Gang brachten. Dagegen nahmen nun die von den Päpsten besonders begünstigten Wallfahrten nach Rom, nach Loretto, San-Jago di Compostella (die sogenannten Hauptwallfahrten) und zu angeblich wunderthätigen Reliquien, Heiligenbildern und heiligen Stätten überhand, deren Auffindung oder Aufstellung Aberglaube und priesterlicher Eigennutz in allen christlichen Ländern besorgte. Haus und Wirthschaft wurde mit den dringendsten Geschäften im Stiche gelassen, um die Wallfahrt zu dem oder jenem Gnadenbilde u.s.w. nicht zu versäumen, die mehre Tage, selbst Wochen in Anspruch nahm und am Ende in der Verrichtung kurzer Andachten bestand, an welche sich Ausschweifungen im Trunke und alle Leidenschaften des gemeinen Mannes anschlossen. Alle für das wahre Wohl des Volks besorgte Regierungen setzten daher solchem Unwesen Schranken und beschränkten mindestens die Wallfahrten dahin, daß die Waller oder Wallbrüder, d.h. die darauf Ausziehenden, nicht über Nacht vom Hause abwesend sein dürfen. In vielen katholischen Ländern bestehen sie dagegen noch, und in andern, wo sie beschränkt worden waren, sucht man sie von neuem zu beleben und Aberglauben und das alte Unwesen in ihrem Gefolge, kehren mit ihnen zurück (S. Betfahrt, Pilger und Procession)

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 648-649.
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