Stabat mater

[378] Stabat mater. Was für ein Sang tönt an mein Ohr, so lind und mild, so klagend und doch so beseligend, wie ein melodisches Mährchen von Schmerzen, die sich hinüberträumen in stille Ahnungen von Freude und sanft zerfließen in lächelnde Zähren? Auf leichtem Gewölk' fast tändelnder Töne folgt ein Engel dem andern, neigt wehmüthig das kleine Haupt, senket über die kindlichen Sterne den Schatten der Wimpern, – und entfleugt lächelnd wieder zum Himmel, woher er gekommen. Sind das die Klagen[378] eines Kindes an der Bahre seiner Mutter? Sind das die Seufzer einer Mutter an der Wiege ihres sterbenden Kindes? Oder ist das der Schmerzengesang des Engels in uns, wenn er, müde der Gesänge des Thals, sich sehnet nach den Wiegenliedern des Himmels?.... Doch nein, mich umfängt ja die heilige Nacht des Domes; die Kerzen flammen am Hochaltar, es betet still die Gemeinde, und vom Chor herab ertönt das Lied der unsichtbaren Gemeinde der Heiligen: – Pergolese's Stabat mater ist es, das ich höre, dieser herrliche Gesang, wo die Mutter der Schmerzen am Kreuze des Erlösers steht und hinausblickt unter Thränen zum leidenden Sohne, während auf unsichtbaren Leitern besänftigend und Kühlung wehend Engel auf- und niedersteigen, und in der Höhe sich schon der weinende Himmel öffnet und der Friedensbogen erglänzt als das Zeichen der göttlichen Versöhnung. – Das Stabat mater, dieser berühmte geistliche Gesangtext in lateinischen Terzinen, welchen man an gewissen Festen in der katholischen Kirche singt, wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Minoriten Jacobus de Benedictis, gewöhnlich Jacoponus genannt, im 13. Jahrhunderte gedichtet, hat jedoch im Laufe der Zeit viele Abänderungen erfahren. Die größten Tonmeister haben ihn in Musik gesetzt; namentlich zeichnen sich unter diesen Compositionen außer der Pergolese's die von Palestrina, Astorga, später die von Haydn, Winter, Neukomm und Stunz aus.

–r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 378-379.
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