Kreuz

[214] Kreuz. Das Kreuzigen war bei den Römern eine der schimpflichsten Todesstrafen. Deßhalb mochten wohl auch die Juden auf die Kreuzigung Jesu dringen, um ihn desto tiefer zu demüthigen. Aber eben dieses erniedrigende Zeichen wurde zum heiligen Zeichen der Christen erhoben. Denn der Kreuzestod war das[214] freiwillige Opfer, welches Christus stark und muthig einst darbrachte. Darum bedienten sich die Christen schon in den frühesten Zeiten des Kreuzzeichens als Erkennungs- und Erinnerungsmerkmal. Als das Christenthum späterhin unter Constantin dem Großen zur Staatsreligion erhoben worden war, wurde das Kreuz auf öffentlichen Plätzen und in Kirchen aufgestellt. Selbst in der Form des Kreuzes erbauete man viele Kirchen. Und als nun die Kaiserin Helena, die Mutter Constantin's, das angeblich wahre Kreuz, an welchem Jesus gelitten hatte, in Jerusalem fand, und ein Stück davon mit nach Constantinopel brachte, fing man an, das Kreuz zu verehren, und den Tag (den 3. Mai) festlich zu begehen, an welchem das Kreuz von der Helena gefunden worden war. Dieses Fest feiern die Katholiken noch jetzt unter dem Namen Kreuzerfindung. Ja selbst als Siegeszeichen wurde es nun gebraucht, und man schmückte mit ihm Waffen und Fahnen. Jenes Stück des Kreuzes, welches zu Jerusalem geblieben war, fiel 616 in die Hände der Perser, wurde aber vom Kaiser Heraklius 628 wieder erobert und am 14. September auf der Schädelstätte zu Jerusalem aufgepflanzt. Zum Andenken daran feiert man das Fest der Kreuzerhöhung. In vielen Kirchen will man Theile von jenem wahren Kreuze besitzen. Allmälig bildete sich auch der Glaube an eine besondere, wunderthätige Kraft der Kreuzes-Reliquien immer mehr aus. Selbst die Bilderstürmer wagten es nicht, das Kreuz anzutasten. Durch so viele Jahrhunderte hindurch hat sich das Zeichen des Kreuzes denn erhalten bis auf die Gegenwart. Ernste und heilige Erinnerungen knüpfen sich noch jetzt an dasselbe. Diese Erinnerungen werden bleiben, so lange man auf Erden sich sagt, daß der Edelste, den jemals die Erde trug, am Kreuze sein Haupt neigte.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 214-215.
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