Rotes Kreuz

[175] Rotes Kreuz im weißen Felde, das durch die Genfer Konvention (s. d.) vom 22. Aug. 1864 vertragsmäßig vereinbarte Neutralitätszeichen für die Verwundeten und Kranken sowie für das zu ihrer Pflege bestimmte Personal und Material. Das Rote Kreuz wird teils als Armbinde getragen, teils als Fahne geführt. Die Türkei führt den roten Halbmond; Japan hat das Rote Kreuz durch weiße Querlinien gleichsam in vier rote Rechtecke verwandelt. Das Abzeichen ist in den meisten Staaten durch Gesetz vor Mißbrauch geschützt, neuerdings auch in Deutschland, wo unter Mitwirkung des Kriegsministeriums Vereinen, Anstalten etc. die Berechtigung zur Benutzung des Roten Kreuzes als Abzeichen ausdrücklich erst verliehen wird (s. unten am Schluß). R. K. ist auch die allgemeine Bezeichnung für die Pflege der Kranken und Verwundeten im Kriege, wie sie in der Genfer Konvention vertragsmäßig artikuliert worden ist, und speziell für das Institut der freiwilligen Krankenpflege, wie es sich aus den Beschlüssen der von Delegierten fast aller europäischen Länder und namentlich der Regierungen beschickten Genfer Konferenz vom Oktober 1863 entwickelt hat. In diesem Sinne rechnet man zum Roten Kreuz auch die Ritterorden (Johanniter, Malteser und Georgsritter) und die geistlichen Genossenschaften, die sich mit der Pflege der Verwundeten und Kranken im Kriege befassen. Speziell versteht man aber unter den Vereinen des Roten Kreuzes diejenigen Hilfsvereine, die auf Grund der Beschlüsse der Genfer Konvention zur Unterstützung des Kriegssanitätsdienstes sich in allen Ländern gebildet haben. Der Genfer Konvention sind bis jetzt 38 Staaten beigetreten. In diesen Staaten bestehen Landesvereine vom Roten Kreuz. Die Vereine sind teils Männer-, teils Frauenvereine. Ihren Hauptzweck bildet die Fürsorge für die Verwundeten und Kranken im Kriege. Die Mehrzahl der Vereine erstreckt aber statutarisch ihren Zweck auch auf die Hilfsleistung in Notständen, die, wie der Krieg, rasche und geordnete Hilfe verlangen. Es beruht dies auf den Beschlüssen der Berliner internationalen Konferenz von 1869, und durch die Konferenzen 1897 in Wien und 1902 In Petersburg ist ausdrücklich anerkannt worden, daß eine wohlorganisierte Friedenstätigkeit die Grundlage der Kriegsbereitschaft des Roten Kreuzes bilde.

Die Kriegstätigkeit der Vereine ist eine doppelte: 1) als Hilfsinstitut für die vaterländische Armee, mit dem Zweck, im Fall eines Krieges im Sanitätsdienst der eignen Armee helfend und ergänzend einzutreten, und 2) bei Kriegen zwischen auswärtigen Staaten den Verwundeten und Kranken der kriegführenden Armeen nach Bedarf werktätige Hilfe zu bringen.

1) In den meisten Ländern ist die Stellung der Vereine durch den Staat und die Gesetzgebung geordnet und mehr oder weniger militarisiert worden. In den Staaten, in denen die Gründung des Roten Kreuzes von der Regierung ausging (z. B. den Niederlanden, Spanien, den Vereinigten Staaten), blieb die Oberleitung des Vereinswesens in den Händen der staatlichen Organe. In andern Staaten sind die Vereine durch Akte der Gesetzgebung in ein festes und organisches Verhältnis zur Armee gebracht worden. In einer Anzahl von Staaten ist der in den Beschlüssen der Genfer Konferenz aufgestellte Grundsatz, daß sich in jedem Land Ein Hilfsverein etc. bilden solle, und daß dem Zentralkomitee dieses Vereins die gesamte Leitung der auf die freiwillige Kriegskrankenpflege gerichteten Tätigkeit zustehen solle, zur Durchführung gelangt.

In Österreich-Ungarn und in Deutschland bilden die Vereine vom Roten Kreuz nur den einen Faktor der freiwilligen Krankenpflege neben den Ritterorden. Organisation der österreichisch-ungarischen Vereine: Die in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern bestehenden Landesvereine und Frauenvereine sowie der Patriotische Hilfsverein in Wien haben sich in einem organischen Verband geeinigt: zur österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz. In Ungarn ist der ungarische Landes-Frauenhilfsverein mit dem Verein vom Roten Kreuz der Länder der heiligen Krone Ungarns 16. Mai 1881 zu einem gemeinsamen Verein zusammengetreten. Die Präsidenten beider Vereine treten im Kriegsfall als kaiserliche, bez. königliche Kommissare zur Seite des Generalinspektors der freiwilligen Krankenpflege. Für die Vereinsvereinigung der beiden Reichshälften ernennt der Kaiser ein Mitglied des Herrscherhauses zum Protektor-Stellvertreter. Im Krieg ist die Tätigkeit eine gemeinsame. Der Verein besitzt vollständig ausgerüstete Blessiertentransportkolonnen, die auf die Feldspitäler verteilt sind, ferner Kolonnen für eigne Feldspitale. Die Kolonnen haben Verwundetentransportwagen und Wagen zum Transport infektiöser Kranken nebst Bagage- und Vorratswagen. Außerdem besitzt die Gesellschaft Materialtransportkolonnen von schweren und leichten Deckelwagen für mobile Vereinsdepots etc. Ein Mobilmachungsplan wird laufend bearbeitet auf Grund militärischerseits gegebener Direktiven. – In Deutschland bestehen in allen Ländern Landesvereine, die an sich in ihrer Organisation selbständig sind. Durch Übereinkunft vom 20. April 1869 haben sich die deutschen Vereine jedoch eine Gesamtorganisation geschaffen in dem Zentralkomitee der deutschen Vereine vom Roten Kreuz. Das Präsidium sowie die Führung der laufenden Geschäfte ist dem Preußischen Landesverein übertragen. Es hat seinen Sitz in Berlin. Das Zentralkomitee hat keine Exekutive, im Frieden ist es lediglich ein Ratgeber für die Landesvereine. Im Krieg ist seine Stellung gesetzlich geregelt. Die Bestimmungen hierüber sind in dem sechsten Teil der Kriegssanitätsordnung, Felddienstordnung und Kriegsetappenordnung erlassen[175] worden. Der Vorsitzende des Zentralkomitees, eventuell ein andres Mitglied des preußischen Zentralkomitees, ist behufs der Bearbeitung der Depot- und Rechnungsangelegenheiten Mitglied der Zentralstelle in Berlin; in diese Zentralstelle werden ferner entsendet: 4–6 Mitglieder des Preußischen Vereins und 4–6 Abgeordnete der übrigen Landesvereine. Die Kriegssanitätsordnung (§ 206) bestimmt, daß die freiwillige Krankenpflege kein selbständiger Faktor neben der staatlichen sein darf; eine Mitwirkung ist ihr nur insoweit gestattet, als sie dem staatlichen Organismus eingefügt und von den Staatsbehörden geleitet werden kann. Die leitende Spitze der freiwilligen Krankenpflege ist der Kaiserliche Kommissar und Militärinspekteur der freiwilligen Krankenpflege, der sich dauernd mit den Kriegsministerien und dem Chef des Feldsanitätswesens in Verbindung erhält und von diesen für seine Tätigkeit die leitenden Gesichtspunkte erhält. Er nimmt die einheitliche Leitung aller Vereine in die Hand, während er gleichzeitig zu den Etappeninspektionen Delegierte entsendet, um mittels dieser die freiwillige Krankenpflege an diesen Punkten zu leiten. Letztere befaßt sich grundsätzlich mit der Krankenpflege im Rücken der Armee, d.h. mit der Krankenpflege in Lazaretten und bei den Krankentransportzügen. Daher bereiten die Vereine im Frieden sich vor, um mit der Mobilmachung sofort sowohl a) Sanitätskolonnen stellen zu können, b) selbständige Kriegs- und Vereinslazarette zu errichten oder c) sich bei der Errichtung staatlicher Lazarette durch Übernahme einzelner Verwaltungszweige (Wäsche, Küche), Gestellung von Pflegepersonal etc. zu beteiligen. Neben den Ritterorden werden nur die Vereine vom Roten Kreuz zur Hilfsleistung in der freiwilligen Krankenpflege bei der Armee zugelassen. Andre Vereine müssen sich ihnen anschließen. Die Zahl der in Deutschland vorhandenen Vereine vom Roten Kreuz beträgt ca. 3000; neben den Männervereinen, Sanitätskolonnen und Pfleger-Genossenschaften haben namentlich die Frauenvereine zahlreiche Zweigvereine. In Preußen z. B. zählt der Vaterländische Frauenverein mehr als 1200 Zweigvereine mit ca. 330,000 Mitgliedern. Die Gesamteinnahmen betrugen im Jahre 1904 rund 5 Mill., die Ausgaben 41/2 Mill. Mk., das Gesamtvermögen des Vaterländischen Frauenvereins beträgt ca. 17 Mill. Mk. Über die vom Kaiser Wilhelm II. 1898 gestiftete Rote Kreuzmedaille s. d. (S. 174).

2) Die sogen. internationale Hilfe der Neutralen, d.h. derjenigen Nationen, die am Kriege nicht direkt beteiligt sind, bezweckt die Unterstützung der Kranken und Verwundeten der kämpfenden Heere, bez. der nationalen Gesellschaften der kriegführenden Staaten. Sie darf nur dorthin gebracht werden, wo sie verlangt wird. In Deutschland schließt die Kriegsetappenordnung die Hilfe der Neutralen auf dem Kriegsschauplatz und innerhalb des Bereichs der Generaletappeninspektion unbedingt aus, läßt sie nur zu im Bereich der Besatzungsarmee und macht sie auch dort von der ausdrücklichen Genehmigung des Kriegsministeriums abhängig. – Die internationalen Beziehungen der Vereine vom Roten Kreuz vermittelt das internationale Komitee in Genf, das zwar kein ausdrückliches Mandat besitzt, aber von 1863 an sich die von den Vereinen als nützlich anerkannte Aufgabe gestellt hat, die Beziehungen der Zentralkomitees untereinander zu erhalten und auszubilden, ihnen die Bildung neuer Nationalvereine anzuzeigen, das »Bulletin international« als Organ aller Gesellschaften vom Roten Kreuz herauszugeben und in Kriegszeiten sowohl ein oder mehrere internationale Agenturen zu stiften, die den Zweck haben, Auskunft zu erteilen und die Zusendung von Hilfsmitteln an Geld oder in natura an die Verwundeten der Kriegführenden seitens der Neutralen zu vermitteln, als auch für den Fall, daß es darum ersucht wird, selbst oder durch seine Agenturen den nationalen Vereinen der kriegführenden Mächte zum Austausch des Briefwechsels behilflich zu sein. Zu gemeinsamer Besprechung über Fragen von allgemeinem Interesse und zur Erleichterung der Beziehungen zwischen den einzelnen Zentralkomitees werden in der Regel alle fünf Jahre internationale Konferenzen abgehalten; solche Konferenzen haben bisher stattgefunden: 1867 in Paris, 1869 in Berlin, 1884 in Genf, 1887 in Karlsruhe, 1892 in Rom, 1897 in Wien und 1902 in Petersburg. – In Friedenszeiten liegt den Vereinen, abgesehen von der Sorge für die Invaliden, für die vielfach besondere Vereine und Stiftungen bestehen, ob: die Fürsorge für die Kranken und Verwundeten, die noch an den im Krieg erhaltenen Wunden oder deren Folgen leiden, die Hilfe bei allgemeinen Notständen, soweit dies die Statuten bestimmen, und namentlich eine sorgfältige Vorbereitung der Kriegstätigkeit durch Ergänzung der Mittel, Ausbau der Organisation, Ausstellung eines Mobilisierungsplans, Ansammlung von Geld, Ausbildung von Krankenpflegepersonal, Bereitstellung von Sanitäts- und Transportkolonnen, Fürsorge für die Depots (Anlegung von Musterdepots) und eventuell durch Errichtung von Vereinslazaretten, bez. Ausrüstung von Sanitäts- und Krankenzügen. Namentlich die Frauenvereine haben in Deutschland nach und nach jede soziale Hilfstätigkeit in ihren Arbeitsbereich einbezogen, insbes. auch im Anschluß an die Organisationen der Arbeiterversicherung. Vgl. v. Criegern, Das Rote Kreuz in Deutschland (Leipz. 1883) und Lehrbuch der freiwilligen Kriegskrankenpflege (2. Aufl., das. 1891); Treuenpreuß, Das Rote Kreuz (das. 1887); Pannwitz, Die planmäßige Kriegsvorbereitung der Vereine vom Roten Kreuz (Straßb. 1892); V. v. Strantz, Das Internationale Rote Kreuz in seiner gegenwärtigen Gestalt (Berl. 1896); R. Müller, Entstehungsgeschichte des Roten Kreuzes und der Genfer Konvention (Stuttg. 1897) und die Literatur bei Artikel »Kriegssanitätswesen«; ferner die Jahresberichte der Zentralkomitees der einzelnen Ländervereine (erhältlich beim Zentralkomitee vom Roten Kreuz, Berlin W., bez. beim Hauptvorstand des Vaterländischen Frauenvereins, Berlin NW.) und die halbmonatlich erscheinende offizielle Vereinszeitschrift »Das Rote Kreuz« (Charlottenburg).

Durch § 6 des Reichsgesetzes vom 22. März 1902 zum Schutze des Genfer Neutralitätszeichens durfte das Rote Kreuz unter bestimmten Voraussetzungen noch bis zum 1. Juli 1906 von Privaten, in Firmen oder in Warenzeichen geführt werden. Seit diesem Tag aber ist die unbefugte Führung des Roten Kreuzes verboten. In Belgien, Dänemark, Österreich-Ungarn, Rußland, Portugal, Spanien, amerikanischen Freistaaten etc. war das schon früher der Fall. Vgl. Kuhn, Der Mißbrauch des Roten Kreuzes (Münch. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 175-176.
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