Abstract

[3] Abstract (abgezogen) ist jeder Bestandteil einer Vorstellung oder eines Begriffes, der für sieh allein durch die Aufmerksamkeit fixiert, appercipiert und dadurch aus dem tatsächlichen Zusammenhange herausgehoben wird. »Abstract« im engeren Sinne und »begrifflich« sind identisch. Die abstracten Begriffe sind die höchsten Stufen der Abstraction, sie haben nur mehr Verhältnisse, Relationen, kurz völlig Unanschauliches, Nichtsinnliches zum Inhalt (z.B. Sein, Wirken, Tugend). Gegensatz: concret.

Abstract (to ex ephaireseôs) ist nach ARISTOTELES das Allgemeine, z.B. das Mathematische (Met. 1061 a 29; 1077 b 9; de an. 403 b 15, 432 a 5). Den Scholastikern gelten als abstract die Begriffe und Namen von Eigenschaften und Verhältnissen, als concret die Gegenstandsnamen. »Concretum significat aliquam rem et supponit pro illa, quam nullo modo abstractum significat nec pro illa supponit« (PRANTL, G. d. L. III, 363). Das abstracte Wort steht »pro multis simul sumptis«, das concrete »pro uno solo« (l.c. 364). Nach[3] HOBBES sind abstract Begriffe, wie Körperlichkeit, Größe, Ähnlichkeit, also Attributsbegriffe (Comp. 4, 3). »Concretum« ist »quod rei alicuius, quae existere supponitur, nomen est« (l.c. 3, 3; ähnlich J. ST. MILL, Log. I, 32). CHR. WOLF versteht unter »notio abstracta« einen Begriff, welcher »aliquid, quod rei cuidam inest vel adest (scilicet rerum attributa, modos, relationes) repraesentat absque ea re, cui inest vel adest« (Log. § 110). Nach BONNET entsteht das Abstracte durch Beschränkung der Aufmerksamkeit auf allgemeine Eigenschaften (Ess. de Psych. C. 12). DESTUTT DE TRACY bestimmt als »termes abstraits« »les mots pureté, bonté etc., qui expriment ces qualités séparées de tout sujet« (El. d idéol. I, 6).

BERKELEY bestreitet die Existenz von »abstract ideas«, d.h. Allgemeinvorstellungen; ein Dreieck, das weder gleichseitig, noch schiefwinkelig, noch ungleichseitig u.s.w. sein, sondern nur die allgemeinen Eigenschaften des Dreiecks haben soll, ist ein Unding, existiert nur »in den Köpfen der Gelehrten« (Princ. XIII). Das Abstracte, Allgemeine (s. d.) ist eine Function des Namens. In seinem Sinne sagt auch HUME: »Alle abstracten Vorstellungen sind in Wirklichkeit nichts anderes als einzelne, die von einem gewissen Gesichtspunkt aus betrachtet werden, mit allgemeinen Bezeichnungen verknüpft« (Treat. II, sct. 3, S. 52). Gegen diese Auffassung ist J. J. ENGEL (Schriften 1844, X, 75 ff.).

KANT nennt einen Begriff desto abstracter, »je mehr Unterschiede der Dinge aus ihm weggelassen sind« (Log. § 6). Nach KRUG ist abstract »ein Begriff, wenn er für sich allein, mithin außer Verbindung mit anderen Begriffen gedacht wird« (Lexik. I, 15) Nach SCHOPENHAUER sind alle Begriffe abstract (W. a. W. u. V. Bd. I, § 9). BOLZANO versteht unter dem Abstracten jede »Beschaffenheitsvorstellung« (Wiss. I, 259 f.). HEGEL hält den Begriff nur insofern für abstract, »als das Denken überhaupt und nicht das concrete Sinnliche sein Element, teils als es noch nicht die Idee ist«, »als rein formellen Begriff« (Encykl. §164). Der lebendige Begriff (s. d.) ist hingegen das »schlechthin Concrete« (ib.). Das Vernünftig-Abstracte ist zugleich ein Concretes, »weil es nicht einfache, formelle Einheit, sondern Einheit unterschiedener Bestimmungen ist« (§ 82). Alles »Wahrhaftige des Geistes sowohl als der Natur ist in sich concret und hat der Allgemeinheit ohnerachtet dennoch Subjectivität und Besonderheit in sich« (Ästh. I, 92).

Nach FORTLAGE ist ein »Begriff mit lauter fixen Merkmalen« concret; er wird um so abstracter, je mehr Merkmale beweglich werden (Psych. I, § 23). Abstract sind nach DROBISCH die Gattungs- und Artbegriffe (Neue Darst. d. Log. S. 22). Nach C. GÖRING gibt es nur Individualvorstellungen (Syst. d. krit. Philos. I, 234). So auch nach STRICKER (Stud. üb. d. Bewußts. 1879, S. 40 ff.). HAGEMANN erklärt: »Das abstracte Wort bezeichnet die Wesenheit, Beschaffenheit oder deren Mangel (Privation), abgesehen (abstrahiert) von dem Subjecte, welchem sie zukommt. Das concrete Wort bezeichnet die Wesenheit, Beschaffenheit oder deren Mangel, zugleich mit ihrem Subjecte« (Log. u. Noët. S. 35). Nach LIEBEMANN gibt es abstracte Denkfunctionen, wenn auch die Existenz abstracter Begriffe durch innere Beobachtung nicht festzustellen ist (Anal. d. Wirkl.2, S. 485). Nach WUNDT sind abstract »diejenigen Begriffe, denen eine adäquate stellvertretende Vorstellung nicht entspricht«. Ihren anschaulichen Charakter verlieren die Begriffe durch Verdunkelung der mit den »herrschenden Elementen« verschmolzenen repräsentativen Vorstellung und endlich durch Verdunkelung der herrschenden Elemente selbst. Dann ist das gesprochene oder geschriebene [4] Wort das einzige Zeichen für den Begriff (Log. I2, S. 46 ff., 51 ff. Gr. d. Psych. S. 312 ff. Syst. d. Phil.2, S. 38 f., 44). Die abstractesten Begriffe bestehen nur noch in logischen Forderungen (vgl. Begriff). Nach JODL ist der logische Begriff abstract, »denn er greift aus der Erscheinung.. gewisse Züge heraus und fixiert sie in dieser Besonderheit als allgemeine«; der »Wortbegriff« hingegen ist concret (Lehrb. d. Psych. S. 609). H. CORNELIUS: »Die. Bedeutung des Prädicatswortes ist abstract, insofern dasselbe gemäß der Entstehung seiner Bedeutung alle Inhalte der betreffenden Art unterschiedslos (also abgesehen von ihren Unterschieden) bezeichnet« (Einl. in d. Phil. S. 236). HUSSERL nennt »abstractum« einen »Inhalt, zu dem es überhaupt ein Ganzes gibt, bezüglich dessen er ein unselbständiger Teil ist« (Log. Unt. II, 260). »Concretum« ist ein Inhalt mit Beziehung auf seine abstracten Momente (l.c. S. 261). HÖFLER bezeichnet als »abstracte Vorstellungen« »die durch die abstrahierende Aufmerksamkeit hervorgehobenen Vorstellungsmerkmale« (Gr. d. Log.2, S. 16). Nach SCHUPPE ist »concret« das gegebene Individuelle, »abstract« jedes für sich, gesondert gedachte Element der Wirklichkeit (Log. S. 79). Abstract ist »ein aus dem Ganzen einer erlebten Wahrnehmung in Gedanken abgesonderter Bestandteil dann, wenn er für sich allein absolut nicht wahrgenommen werden kann, sondern immer nur zusammen mit einem andern Bestandteil« (Zeitschr. f. imm. Phil. I, 40; Erk. Log. S. 162 ff.). Das Concrete ist »dasjenige, was räumlich und zeitlich oder doch wenigstens zeitlich bestimmt ist und in dieser Bestimmtheit seine Unterscheidbarkeit hat« (Grdz. d. Eth. S. 390). REHMKE setzt »concret« gleich »unveränderlich«, »abstract« gleich »veränderlich« (Allg. Psychol. S. 6 f.). »Das Concrete besteht aus Abstractem und das Abstracte besteht nur als wirkliche Bestimmtheit des Concreten« (l.c. S. 7). Es gibt ein allgemeines und individuelles Abstractes (l.c. S. 9). Concretes (Veränderliches) ist »die gesetzmäßige Einheit des Nacheinander von unveränderlichen Augenblicks-Einheiten, die untereinander sowohl Identisches als auch Verschiedenes enthalten« (l.c. S. 45).

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 3-5.
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