Albert der Große von Bollstädt

[8] Albert der Große von Bollstädt (Albeltus Magnus), geb. 1193 zu Lauingen (Schwaben), studierte in Padua und, nachdem er in den Dominikanerorden eingetreten, in Bologna oder Paris. A. lehrte dann Philosophie in Köln, später in Paris, dann wieder in Köln. Eine Zeitlang war er Bischof von Regensburg. Er starb 1280 in Köln. Durch seine große Gelehrsamkeit war er berühmt, seine nicht unbeträchtlichen naturwissenschaftlichen Kenntnisse verschafften ihm den Ruf eines »Zauberers.«

A. ist einer der bedeutendsten Scholastiker. Er stützt sich in allem, was nicht die Lehren der Offenbarung betrifft, die von denen der Philosophie scharf zu scheiden sind, wesentlich auf Aristoteles. Als einer der ersten Scholastiker zieht er die ganze Aristotelische Philosophie heran und benutzt auch deren arabische Kommentatoren, Alfârâbi, Avicenna, Averroës u. a.; auch Ibn GebirolAvicebron«) und Maimonides zitiert er häufig.

Die Metaphysik (»philosophia prima«) handelt vom Seienden und dessen allgemeinsten Prädikaten (Einheit, Wahrheit, Güte). Das Allgemeine ist real, und zwar vor den Dingen im Geiste Gottes, in den Dingen als Gattung, nach den Dingen als Begriff. Das Prinzip der Individuation (Vielheit) liegt in der Materie als Substrat der Form. Die Vielheit ist durch die »Division« der Materie bedingt. In der Materie ist nur der potentielle Beginn der Form (»potentia inchoationis formae«). Das Werden ist die »Eduktion« der Form aus der Materie. Das Allgemeine liegt nur in der Form. – Gott ist »ens a se«, absolut. Er ist nicht vollkommen begreiflich; durch den kosmologischen Beweis wird sein Dasein festgestellt. Er ist eine Einheit, die besonders als tätiger Intellekt sich äußert, aus der andere Intelligenzen hervorgehen. Die Welt ist nicht ewig, sondern von Gott aus Nichts geschaffen, was für uns ein Wunder ist. Die Materie ist ebenfalls geschaffen, auch die Zeit hat einen Anfang. Gottes Wille und Verstand wirken in der Welt; das Wesen Gottes trägt alle Dinge, die sonst nichtig wären. Die Form der Dinge ist das (in ihnen reibende) Ziel der Entwicklung. Weil die Dinge dem göttlichen Intellekt entstammen, sind sie zweckmäßig. Die Bedeutung von Erfahrung und Beobachtung für die Erkenntnis der Natur wird von A. betont.

Die Seele des Menschen ist Substanz und »actus«, die aktive »Form« des Leibes. Die Seele ist Lebensprinzip (»principium physici corporis organici potentia vitam habentis«). Die vernünftige Seele ist unkörperlich und einfach. Der »aktive.« Intellekt ist ein Teil der Seele und der Träger auch der vegetativen, sensitive, appetitiven und bewegenden Kräfte, die ins gesamt vom Leibe trennbar sind. Die Seele ist unsterblich (»manet separata post mortem«). Es gibt in der Seele einen »intellectus possibilis«, der erst durch Übung zum »intellectus agens« wird; ersterer ist nur ein potentieller[8] Verstand. Der Mensch hat einen freien Willen (»liberum arbitrium«). Prinzip der Sittlichkeit ist das Gewissen, welches als allgemeines Prinzip angeboren ist, wenn es auch im einzelnen irren kann. Untrüglich ist hingegen die »Synteresis« (Synderesis), der »Funken« des Gewissens, das ursprüngliche, reine Sittlichkeitsbewußtsein (»semper inclinans ad bonum et remurmurans malo, in nullo nec viatore nec damnato exstinguitur in toto«), das niemals erlischt. (Der Ausdruck »synteresis« zuerst bei Hieronymus, dann bei Basilius, Gregor dem Großen, Tertullian, Maximus Confessor, Alexander von Hales u. a.) Die Tugend definiert A. wie Augustinus und unterscheidet von den vier Platonischen Kardinaltugenden und den übrigen »virtutes acquisitae« die drei theologischen Tugenden (Glaube, Hoffnung, Liebe) als »virtutes infusae«. Die selige Schauung Gottes ist das Endziel des Menschen. – Die Anhänger Alberts wurden als »Albertisten« bezeichnet. A.s größter Schüler ist Thomas von Aquino (s d.)

Hauptwerke: Summa theologica. – Summa de creaturis. – Opera, 1651; vollständiger, ed. Borguet, 1890 ff. – Vgl. J. SIGHART, Albertus Magnus. 1857. – O. D'ASSAILLY, Albert le Grand, 1870. – G. v. HERTLING, Albertus Magnus, 1880 – J. BACH, Des A. M. Verhältn. zur Erkenntnislehre d. Griech. u. Römer, Araber u. Juden, 1881. – E. MICHAEL, A. d. Große, Zeitschr. f. kathol. Theol., Bd. 25; Vgl. Bd. 27. – A. SCHNEIDER, Die Psychologie A. d. Großen I, 1903.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 8-9.
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