Die Tyrannen von Korinth, Sikyon, Megara

[573] Um dieselbe Zeit wie in Ionien ist die Tyrannis in den Isthmosstaaten eingetreten. In Korinth scheint die Gesetzgebung Pheidons (o. S. 523) das ältere Stadium der Parteikämpfe und einen ersten mißlungenen Ausgleichsversuch zu bezeichnen. Um das J. 657 wurde die Herrschaft der Bakchiaden nach einem Bestande von nahezu einem Jahrhundert (90 J. Diod. VII 9) durch Kypselos824 gestürzt. Seine Mutter gehörte dem regierenden Adel an, sein Vater nicht; wie es scheint, ist er an der Spitze des Demos zur Macht gelangt. Er hat lange Jahre über Korinth regiert und die Herrschaft auf seinen Sohn Periandros vererbt. Von dem Charakter beider Herrscher ist ein klares Bild nicht zu gewinnen. Den Zeitgenossen erschien Periander als Muster eines einsichtsvollen, seiner Mittel sicheren Staatsmanns; daher hat er seinen Platz unter den sieben Weisen825. Herodots Schilderung [573] dagegen atmet den Tyrannenhaß826. Bei ihm ist Kypselos ein grausamer Herrscher, während Periander zu Anfang milder regierte, bis er, durch Thrasybuls Ratschläge (o. S. 568) verführt, zum finsteren Despoten wird. Der spätere Bericht, den vor allem Ephoros ausgebildet und auch Aristoteles befolgt hat, kehrt das Verhältnis um. Hier ist Kypselos der gewandte Demagoge, der die Gegner verjagt, aber ohne Bluttaten regiert, etwa wie Cosimo von Medici; erst Periander hält sich eine Leibwache, verübt zahlreiche Gewalttaten und wird der Lehrmeister der Tyrannenkunst. Jedenfalls waren beide Herrscher gewaltige, energische und zielbewußte Persönlichkeiten. In ihrem Regiment, wie es namentlich Ephoros geschildert hat – Ursprung und Wert dieser Angaben können wir allerdings meist nicht kontrollieren – treten Tendenzen und Charakter der neuen Monarchie besonders deutlich hervor. Die Bakchiaden werden verjagt, ihr Vermögen eingezogen, angesehene Gegner hingerichtet827; der Adel verfolgt daher die Herrscher und ihr Andenken mit grimmigem Hasse (vgl. Theognis [574] 891ff. o. S. 498). Die Konfiskationen schufen dem Herrscher das große Vermögen, das er zur Behauptung der Herrschaft brauchte, die Güter der Bakchiaden wurden wahrscheinlich zu Landanweisungen für die ärmere Bevölkerung und die aus der Hörigkeit befreite Bauernschaft benutzt. Periander sicherte sich weiter durch eine Leibwache und scheint überhaupt eine verschlossene mißtrauische Natur gewesen zu sein, der vor Gewaltmaßregeln, wo sie seinen Zwecken dienten, durchaus nicht zurückschreckte – das Bild, welches die Tradition von ihm bewahrt, erinnert lebhaft an den älteren Dionys, von dem vielleicht die Erzählungen bei Ephoros, aber nicht die Herodots beeinflußt sind. Dagegen für das Gemeinwesen als Ganzes war ihr Regiment durchaus segensreich. Sie sind keineswegs radikale Demokraten, aber die vom Adel bedrückten und ausgesogenen Volksklassen suchen sie zu heben, das Gemeinwohl zu fördern. Gegen das Zusammenströmen der Landbevölkerung in die Stadt wird eingeschritten, die Übersiedlung vom Land in die Stadt verboten. Ebenso wird der Erwerb von Sklaven untersagt: die Untertanen sollen selbst arbeiten, niemand soll müßig leben. Zahlreiche Kolonialgründungen sorgen für den Abfluß der überschüssigen Bevölkerung; außerdem ist durch gemeinnützige Unternehmungen, wie den Versuch, den Isthmus zu durchstechen, durch Tempelbauten u.ä. dafür gesorgt, daß jeder Arbeit findet. Damit hängt eine scharfe Kontrolle der Lebensführung zusammen; zuletzt soll Periander einen Rat eingesetzt haben, der zu überwachen hatte, daß niemand mehr ausgab, als er einnahm. Auch gegen den Luxus wurde eingeschritten; die Hetären soll Periander haben ersäufen lassen. Großer Reichtum wird den Tyrannen gefährlich erschienen sein; aber der Wohlstand der Mittelklasse mußte unter ihrem Regiment ständig wachsen. Direkte Abgaben wurden nicht erhoben; die Hafen- und Marktzölle genügten zur Bestreitung der Kosten der Regierung. Daneben wird die Religion, die dem Thron als Stütze dienen soll, und die Kunst eifrig gepflegt; beide sind ja eng verbunden. Die Kunstform des Dithyrambos, der der dionysischen Bauernreligion angehört, ist zuerst unter Periander ausgebildet (daher die Arionsage, Herod. I 23), das Giebeldach der Tempel [575] gilt als korinthische Erfindung (Pindar Ol. 13) – gewiß haben die Tyrannen mehr als einen Tempel gebaut –, nach Olympia wird eine mit getriebenem Golde überzogene Zeusstatue gestiftet, ferner in den Heratempel ein mit reichen Skulpturen in Gold und Elfenbein geschmückter Kasten von Zedernholz – mit Anspielung auf den Namen der Dynastie und ihres Begründers – geweiht, in Delphi ein Schatzhaus zur Aufnahme der Weihgeschenke erbaut828.

Nach außen erreicht Korinth unter der Herrschaft der Tyrannen durch die Konsolidierung der inneren Verhältnisse und eine zielbewußte und konsequente Politik den Höhepunkt seiner Macht. Das wichtigste war die Sicherung und Erweiterung des Kolonialgebiets. Korkyra, die Hauptstation Korinths für die Verbindung mit Sizilien, hat sich früh von der Mutterstadt losgerissen; die günstige Lage, die Größe und Fruchtbarkeit der Insel legten den Grund zu ihrer Selbständigkeit. Die erste Seeschlacht, von der Thukydides wußte (I 13), ist um 660 v. Chr. zwischen Korinth und Korkyra geschlagen worden. Vielleicht haben diese Händel den Anstoß zur Begründung der Tyrannis gegeben. Jedenfalls hat Kypselos Korkyra unterworfen; bis zu Perianders Tod ist die Insel den Korinthern untertan gewesen – wenn auch Aufstände vorkamen – und von Söhnen der Herrscher regiert worden. Daran schließen sich neue Koloniegründungen. Bei Gelegenheit eines inneren Haders wurde Leukas durch Kypselos' Sohn Gorgos (bei Nic. Dam. Pylades und Echiades) den Akarnanen entrissen. Durch Durchstechung einer schmalen Landzunge unmittelbar vor der neugegründeten Stadt wurde die bisherige Halbinsel (Od. ω 377) in eine Insel verwandelt, der Hafen durch vorgelegte Dämme geschützt und so zugleich eine sichere Seestraße längs der akar nanischen Küste hergestellt. Weiter nördlich am Golf von Ambrakia gründete Gorgos Ambrakia und Anaktorion. Auch an der illyrischen Küste haben die Korinther [576] festen Fuß gefaßt; mit Korkyra zusammen haben sie hier Apollonia und Epidamnos (nach Euseb. Ol. 38, 3, 626 v. Chr. und Var.) angelegt. Ob die Kypseliden auch über Syrakus eine Oberhoheit gehabt haben, wissen wir nicht. Wie im Westen nahm Korinth im Osten eine gebietende Stellung ein. Potidäa auf der Chalkidike ist von Perianders Sohn Euagoras gegründet – es ist die erste griechische Stadt, die nach einem Gotte benannt wird829. Gewiß hat Kypselos auch den großen Euböischen Krieg (o. S. 497f.) geschickt zu seinem Vorteil benutzt; doch vermögen wir die Wandlungen der Politik jener Tage nicht mehr herzustellen830. Korinth stand auf seiten von Chalkis, aber das Ergebnis war, daß Euböas Macht niederging und Korinth seine alten Genossen und Rivalen weit überflügelte. Damit wird eine Verschiebung der politischen Verhältnisse zusammenhängen: an Stelle der alten Feindschaft mit Milet tritt ein enges Bündnis zwischen Periander und Thrasybul (o. S. 568), während sich mit Samos, dem alten Bundesgenossen, ein Konflikt anbahnt (Herod. III 48). Mit Alyattes von Lydien (Herod. III 48) und mit Ägypten bestand lebhafter Verkehr; Perianders Neffe und Nachfolger trägt den ägyptischen Königsnamen Psammetich. Im Streit zwischen Athen und Mytilene um Sigeon wird Periander zum Schiedsrichter berufen (u. S. 596). So wird Korinth durch die neue Monarchie die erste Handelsstadt der griechischen Welt. Eine Durchstechung [577] des Isthmos, die Herstellung einer direkten Verbindung zwischen Ost und West, sollte das Werk krönen (Diog. Laert. I 99). Aber hier waren ganz andere Schwierigkeiten zu überwinden als bei den leukadischen Dünen; auch spätere Zeiten, die über weit größere technische Mittel geboten, haben das Werk nicht durchführen können.

Um die Wende des 7. Jahrhunderts war Periander der mächtigste Mann Europas. Auch auf die Kontinentalstaaten erstreckte sich sein Einfluß. Eine Tochter des Tyrannen Prokles von Epidauros (Herod. III 50) und eine Enkelin des arkadischen Herrschers Aristokrates (o. S. 500, Herakleides bei Diog. Laert. I 94) waren ihm vermählt. Eins der angesehensten attischen Adelshäuser, die Philaiden, verschwägerte sich mit dem Tyrannen Korinths831. Von den politischen Beziehungen zu den mächtigen Nachbarstaaten Argos, Sikyon, Ägina, die einen vielfach verschlungenen Charakter gehabt haben müssen, schweigt unsere Überlieferung vollständig; für derartiges hat die populäre Tradition nicht das mindeste Interesse. Im Maßsystem und in der Geldprägung tritt der Gegensatz deutlich hervor (o. S. 508). – In seiner Familie war Periander nicht glücklich. Sein düsterer, argwöhnischer Charakter, seine gewaltsam niedergehaltene und dann furchtbar ausbrechende Leidenschaftlichkeit verwickelte ihn in schwere Konflikte. Dunkle Gerüchte gingen um über die Vorgänge in seinem Hause, die von der Tradition zu einer erschütternden Tragödie zusammengefaßt sind. Seine Gemahlin Melissa, die Tochter des Prokles, starb durch seine Schuld. Darüber zerfiel er nicht nur mit seinem Schwiegervater, den er besiegte und gefangennahm, sondern auch mit seinem Sohne Lykophron. Er schickte ihn als Regenten nach Korkyra. Aber Lykophron wurde von den Korkyräern erschlagen, und der alte Herrscher mußte noch einmal einen Kriegszug unternehmen. Er hat die Insel wieder unterworfen und schwer bestraft. Auch seine anderen Söhne gingen ihm im Tode voran; so folgte ihm sein Neffe, Gorgos' Sohn [578] Psammetich (bei Nic. Dam. Kypselos II.). Er hat die Herrschaft nur drei Jahre behauptet. Dann wurde er erschlagen, das Tyrannengeschlecht vernichtet, die Republik wiederhergestellt (um 585)832. Eine Wiederherstellung der alten Adelsherrschaft war unmöglich; aber die neue Verfassung trug einen aristokratischen, d.h. plutokratischen Charakter. Aus den acht Distrikten (Phylen), in die das Gebiet von Korinth zerfiel (o. S. 287), stellte einer den regierenden Ausschuß der Probulen, die übrigen den Rat (Nic. Dam. 60). Sonst erfahren wir noch, daß zur Ausstattung der Reiterei das Vermögen der Witwen und Waisen herangezogen wurde als Äquivalent für die Kriegspflicht, die sie nicht erfüllen konnten (Cic. rep. II 36). Die neue Regierung hat den Staat mit der besonnenen Weisheit einer echten Kaufmannsaristokratie geleitet. Das Reich freilich, welches Kypselos und Periander gegründet hatten, ließ sich nicht in vollem Umfang behaupten. Korkyra riß sich definitiv von der Mutterstadt los und lag mit ihr fortan ununterbrochen in Fehde: die Annahme der äginetischen Währung durch die Insel charakterisiert den Bruch. Epidamnos und Apollonia wurden von Korkyra abhängig. In Ambrakia wurde nach Ermordung des Tyrannen Periander eine demokratische, auf einen niedrigen Zensus begründete Verfassung eingeführt (Aristot. pol. V 2, 9). Doch unterstützte Ambrakia später die korinthische Politik (Thuk. I 27. 46. III 80)833. Auch auf Leukas, wo die Grundbesitzer lange das Regiment behaupteten (Arist. pol. II 4, 4), und auf Anaktorion erhoben die Korkyräer Anspruch; aber im wesentlichen hat Korinth hier seine leitende Stellung behauptet (Plut. Them. 24. Thuk. I 27. 30. 46. 55). Auch Potidäa blieb unter korinthischer Aufsicht (Thuk. I 56). So hat Korinth seinen Kolonialbesitz mehr als irgend ein anderer griechischer Staat zusammengehalten; noch im J. 433 kann es [579] sich der Liebe und Treue seiner Kolonien rühmen (Thuk. I 38). Allerdings handelte es sich hier überall mehr um Ehrenvorrechte und einen allgemeinen Einfluß auf Handel und Politik als um eine wirkliche Herrschaft. In Korinth ist wie in so vielen Handelsstaaten – z.B. in den Niederlanden seit dem Spanischen Erbfolgekrieg und in Venedig seit dem 16. Jahrhundert – nach dem Sturz der Tyrannis an die Stelle einer kühnen, weit ausgreifenden Politik eine rein merkantile Politik getreten, die vor auswärtigen Unternehmungen und Verwicklungen zurückschreckt. Das kleine unfruchtbare Gebiet der Stadt hatte keine selbständige Bedeutung mehr, das Hinterland auf die Dauer kommerziell oder gar politisch zu beherrschen war unmöglich – im Peloponnes überwiegt überall der Einfluß von Ägina, mit dem daher Korinth aufs tiefste verfeindet ist, Argos, die bedeutendste Stadt des Binnenlandes, steht mit Korinth in dauernder Feindschaft und betrachtet die Handelsstadt als einen abtrünnigen Emporkömmling. So wird die korinthische Politik nur von einem großen Interesse beherrscht: die kommerziellen Verbindungen in Ost und West zu wahren und womöglich zu erweitern und die eigene Industrie auf ihrer Höhe zu erhalten. Daher bleiben die inneren Verhältnisse stabil, die reichen Kaufherren und Fabrikanten behaupten das Regiment. In der wirren Zerrissenheit der griechischen Welt ist Korinth ein Muster geordneter Zustände: »Da wohnen die Gesetzlichkeit und ihre Schwester, die sichere Grundlage der Staaten, das Recht, mit ihrer Genossin, dem Frieden, die Schaffner des Reichtums«, preist Pindar die Stadt (Ol. 13). Wohl als ein Siegesfest für die Wiederherstellung der Republik haben die Korinther im J. 581 die alle zwei Jahre gefeierten isthmischen Festspiele eingesetzt (Hieron. Ol. 49, 4. Solin. VII 14), die in ganz Griechenland als Nationalfest anerkannt wurden.

Um dieselbe Zeit wie in Korinth ist auch in Sikyon eine Tyrannis entstanden834. Sikyon ist keine Handelsstadt, wenn es auch an dem Handel der Nachbargebiete teilnimmt und auf dem [580] Korinthischen Meerbusen Schiffahrt treibt. Aber die Fruchtbarkeit des Asopostals und der Küstenebene (Aigialos) schuf einen beträchtlichen Wohlstand und damit eine Reaktion der unteren Stände, vor allem der Bauernschaft, gegen das Adelsregiment. Der Begründer der Tyrannis soll niederster Herkunft gewesen sein. Herodot nennt ihn, wie es scheint835, Andreas (VI 126, ebenso Diod. VIII 24), Aristoteles und die Späteren Orthagoras. Ein Jahrhundert lang hat sein Haus die Herrschaft behauptet, nicht durch Revolutionen, sondern nur durch Familienzwist vorübergehend erschüttert; von allen Tyrannenhäusern hat sich das von Sikyon am längsten behauptet. Namen und Folge der Herrscher sind unsicher. Ol. 33, 648 v. Chr. soll Myron in Olympia einen Sieg mit dem Viergespann gewonnen haben; zum Dank dafür weihte er dem olympischen Gott ein ehernes Tempelchen im Gewicht von 500 Talenten mit der Aufschrift »Myron und das Volk der Sikyonier« (Paus. VI 19)836. Genauer bekannt ist nur Kleisthenes, der zu Anfang des 6. Jahrhunderts regierte. Nach außen trat er machtvoll auf. Er wehrte die Argiver ab, welche die Suprematie über Sikyon beanspruchten (Herod. V 67), er war die Seele des Kriegs für die Befreiung Delphis (u. S. 620) – auch hier sucht das Königtum Anlehnung an die religiösen Mächte. Von höchstem Interesse sind die Angaben über sein Regiment im Inneren; sie zeigen, daß zu dem Gegensatz der Stände der zwischen den dorischen Herren und der älteren Bevölkerung hinzukam, von dem in Korinth keine Rede ist – beides fiel allerdings wohl wesentlich zusammen. Die drei dorischen Phylen [581] wurden von Kleisthenes ihres Vorrangs beraubt und mit neuen vom Schwein, Esel und Ferkel hergenommenen Namen belegt (ᾶται, Ὀνεᾶται, Χοιρεᾶται – ist das wirklich historisch?), seine eigene Phyle, die Ägialeer (o. S. 257), als »Volksführer« (Ἀρχέλαοι) an die Spitze gestellt. Der Heros des Adels, der sagenberühmte Adrastos, wurde durch Errichtung eines Kults seines Todfeindes Melanippos aus dem Lande verdrängt, die Darstellung seiner Taten durch tragische Chöre aufgehoben, die Rezitation der homerischen Epen durch die Rhapsoden untersagt. Dagegen wird auch hier der Dienst des Bauerngottes Dionysos gepflegt, werden Chorgesänge zu seinen Ehren aufgeführt. Den Zuzug der Landbevölkerung in die Stadt scheint auch er verboten zu haben – eine Notiz führt auf ihn die Einführung der Schaffelle als Tracht der Bauern (κατωνακοφόροι o. S. 258)837 zurück, damit sie sich schämten, in die Stadt zu kommen (Poll. VII 68). Im übrigen war Kleisthenes wie seine Vorgänger ein milder und gerechter Regent. An seinem Hofe entfaltete er große Pracht. Bauten wurden aufgeführt (Pausan. II 9, 6), Festspiele und musische Wettkämpfe gehalten; auch Kleisthenes hat in Olympia wie in Delphi (582) Siege davongetragen. Einen Erben hat er, wie es scheint, nicht hinterlassen; seine Tochter vermählte er dem attischen Adligen Megakles (u. S. 615). Die Legende erzählt, wie bei dieser Gelegenheit aus ganz Griechenland die angesehensten Freier an den Hof des Tyrannen zusammenströmten. – Wie die Dinge nach Kleisthenes' Tode (um 570) weiter gegangen sind, wissen wir nicht; eine problematische Notiz erwähnt einen Tyrannen Äschines, den die Spartaner vertrieben hätten (Plut. mal. Her. 21). Jedenfalls ist eine Revolution nicht eingetreten; die Kleisthenischen Phylen bestanden noch 60 Jahre nach seinem Tode, bis zu Ende des 6. Jahrhunderts, wohl unter spartanischem Einfluß, die alte Ordnung wiederhergestellt wurde. Zu größerer politischer Bedeutung ist Sikyon nicht wieder gelangt. Aber sein Wohlstand erhielt sich; für ihn legt die sikyonische Bildhauerschule, die in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts blühte, beredtes Zeugnis ab.

[582] Auch sonst haben sich in der Nachbarschaft Korinths vielfach Usurpatoren erhoben, so in den Städten von Argolis, vielleicht ebenso in manchen achäischen und arkadischen Städten. Zufällig genannt werden die Tyrannen Prokles von Epidauros und Leon von Phlius838. Auch die Neuerstarkung des Königtums in Argos unter Pheidon (o. S. 502f.) gehört ja der Zeit des Kypselos an. Nur auf Ägina fand die Tyrannis keinen Boden; hier bestand von Anfang an die rein merkantile Politik, zu der Korinth nach dem Sturz der Kypseliden gelangte. Die Erwerbung auswärtiger Besitzungen und die Gründung von Kolonien hat die kleine Insel nie erstrebt. Es gab wohl einen Demos, der die regierenden Herren zu stürzen suchte (Herod. VI 91), aber zu selbständiger Bedeutung vermochte er nicht zu gelangen. – Schärfer stießen die Gegensätze in Megara aufeinander. Den großen maritimen Aufschwung des kleinen Gemeinwesens, seine zahlreichen Kolonien in Ost und West haben wir früher kennengelernt. Namentlich der Handel nach der Propontis und dem Bosporos mußte reichen Gewinn bringen. Das Regiment lag ausschließlich in den Händen des hauptstädtischen Adels; ihm gehörten die Güter und die großen Herden auf dem Lande. Durch den Aufschwung von Handel und Industrie entwickelte sich auch hier in der Stadt ein wohlhabender Mittelstand, auf der Bauernschaft dagegen lastete ein unerträglicher Druck. Etwa um 640 ist daraus die Usurpation des Theagenes hervorgegangen839. Wir erfahren, daß er an der Spitze des Demos emporkam, sich von diesem eine Leibwache geben ließ und dann einen entscheidenden Schlag gegen die Reichen führte, indem er ihre Herden an der Tränke überfiel und abschlachtete. Sonst wissen wir nur, daß er eine prächtige Wasserleitung gebaut hat und daß er den mißlungenen Versuch seines Schwiegersohns Kylon[583] unterstützte, sich in Athen zum Tyrannen zu machen. Nach Theagenes' Sturz hat eine Zeitlang ein gemäßigtes aristokratisches Regiment bestanden; bald aber kam der Konflikt aufs neue zum Ausbruch. Der Demos wurde den Adligen immer aufsässiger; er verlangte Zulassung zu ihren Gastmählern, d.h. zu den gemeinsamen Mahlzeiten der regierenden Bürger, er setzte Rückerstattung der gezahlten Zinsen durch (παλιντοκία), schließlich wurde das Bügerrecht auf die Landbevölkerung ausgedehnt, die Bauern zur Teilnahme an der Volksversammlung und am Regiment zugelassen. Daß dabei vielfache Gewalttätigkeiten, Verbannungen und Konfiskationen, auch Frevel gegen das Völkerrecht vorkamen, mögen wir den Berichten wohl glauben; doch scheint größeres Blutvergießen vermieden zu sein. Durch die an einen jungen megarischen Adligen, den Polypaiden Kyrnos, gerichteten Gedichte des Theognis (ca. 570-550 v. Chr.) werden uns diese Kämpfe lebendig vor Augen geführt840. Theognis gehörte dem Adel an; aber durch den unglücklichen Ausgang einer Seefahrt verlor [584] er Feld und Vieh (1197), und seine Versuche, durch Seehandel das Verlorene wiederzugewinnen (179), scheinen wenig Erfolg gehabt zu haben. So konnte er größeren politischen Einfluß nicht gewinnen; nur als Gesandten an das delphische Orakel finden wir ihn einmal tätig (805). Mit dem Regiment des Adels war er keineswegs einverstanden; die Gewinnsucht, die ungerechte Rechtsprechung, den Ehrgeiz der Führer tadelt er mit harten Worten (43ff.), er erwartet Bürgerkrieg, Bluttaten, die Erhebung eines Monarchen (39. 51. 541, vgl. 235). Wie Magnesia, Kolophon, Smyrna wird auch Megara durch seine Frevel zugrunde gehen (1103, vgl. 603). Aber als nun die Revolution eintritt, sind alle seine Ideale dahin; das ganze Standesgefühl des Adligen bäumt sich in ihm auf und findet leidenschaftlichsten Ausdruck. »Die Stadt ist dieselbe, das Volk ein anderes; die früher nichts von Recht und Gesetz wußten, sondern draußen wie Hirsche lebten, in Ziegenfelle gehüllt, die sind jetzt die Guten, wer früher edel war, gilt jetzt als schlecht. Wer könnte ertragen, das anzusehen! Sie betrügen sich selbst und haben sich zum besten, denn sie verstehen weder Schlechtes noch Gutes zu beurteilen« (53ff. = 1109ff.). Daß zahlreiche Edle mit dem Gesindel zusammengehen, daß bei den Ehen die Stände sich vermischen und nicht mehr nach Adel und Tüchtigkeit, sondern nur noch nach dem Geld gefragt wird, empört ihn aufs tiefste (183ff. [vgl. 429ff.]); dringend warnt er den Kyrnos vor jedem Verkehr, vor jedem Vertrauen zu den Schlechten; nur mit den Edlen soll er zusammenhalten und Freundschaft schließen. Aus manchen Versen spricht eine tief verbitterte Stimmung: die edleren Anschauungen vergessend, die er selbst früher ausgesprochen hatte, rät er dem Kyrnos, sich zu verstellen (61ff. 213ff. = 1071ff.), er meint, nur auf Glück komme es im Leben an, nicht auf Tugend und Wohlstand (129). Schwer lastet im Alter die Armut auf ihm (173 u.a.), aber von der Hoffnung auf Rache will er nicht lassen, dann will er befriedigt sterben (337. 361). Sie ist ihm nicht geworden; dagegen hat er den Schmerz erlebt, daß sein Verhältnis zu Kyrnos erkaltete (253. 655f. 87ff.). Vermutlich hat Kyrnos wie mancher andere seinen Frieden mit der neuen Ordnung gemacht. Denn allmählich scheint [585] in Megara eine Beruhigung eingetreten zu sein. – Die inneren Kämpfe haben sich zweifellos mit den Kriegen vielfach verschlungen, die in dieser Zeit mit Samos um die Gründung von Perinth und vor allem mit Athen (vielleicht auch mit Korinth, wenn die Erbauung des Schatzhauses in Olympia nach einem Siege über die Korinther Pausan. VI 19, 13 hierherzuziehen ist) geführt wurden, zuerst erfolgreich, dann mit um so schwereren Einbußen; der Verlust von Salamis, durch den Megaras Machtstellung den Todesstoß erhielt, mag den Anlaß zu der demokratischen Revolution gegeben haben. Denn offenbar bezeichnet sie zugleich einen Rückschlag der Bauernschaft gegen die Handelspolitik des Adels, die sich auf die Dauer nicht durchführen ließ, da die Kräfte des kleinen Landes dazu nicht ausreichten.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 573-586.
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